»Ein Mix aus 50 Shades of Türkis und harter Arbeit«
Frank Kortenhorn ist Facharzt für Innere Medizin und verbringt sechs bis acht Wochen im Jahr als Schiffsarzt auf See. Im Interview erklärt er, warum ein Job auf einem Kreuzfahrtschiff wenig mit Urlaub zu tun hat und wie er sein »Hobby« mit dem Praxisalltag vereinbart.

Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick
Was macht ein Schiffsarzt?
Schiffsärzt:innen sind für die medizinische Versorgung aller Personen an Bord verantwortlich. Sie bieten tägliche Sprechstunden für Reisende und Crew an, leisten Notfallversorgung rund um die Uhr und überwachen die Hygiene an Bord. Auf großen Schiffen arbeiten die Ärzt:innen im 24-Stunden-Schichtsystem, wobei sich zwei Mediziner:innen abwechseln.
Wie wird man Schiffsarzt?
Die Grundvoraussetzungen sind:
- Abgeschlossenes Medizinstudium mit Approbation
- Facharztausbildung (vorzugsweise Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie oder Anästhesie)
- Zusatzqualifikation in Notfallmedizin
- Mehrjährige Berufserfahrung
- Seediensttauglichkeit
Wie viel verdient ein Schiffsarzt?
Das Gehalt variiert je nach Reederei, Position und Erfahrung zwischen 7.500 bis 12.500 Euro pro Monat.
Zusätzlich gibt es freie Kost und Logis sowie weitere Vergünstigungen.
Welche Aufgaben hat ein Schiffsarzt an Bord eines Kreuzfahrtschiffs?
Wie bereits erwähnt führen Schiffsärzt:innen Sprechstunden für Reisende und Crew durch. Sie garantieren die Notfallversorgung rund um die Uhr. Zu ihren Aufgaben zählen außerdem die Überwachung der Hygiene und Gesundheitsstandards, die Organisation der Bordapotheke und die Koordination mit medizinischen Einrichtungen an Land. Weiterhin schulen sie die Crew in Erster Hilfe.
Welche medizinischen Notfälle treten häufig auf einem Schiff auf?
Die häufigsten Fälle sind:
- Erkältungen und Atemwegserkrankungen
- Magen-Darm-Beschwerden
- Seekrankheit
- Kleinere Verletzungen
- Herz-Kreislauf-Probleme
- Zahnmedizinische Notfälle
Was unterscheidet die Arbeit eines Schiffsarztes von der eines Landarztes?
Auf einem Schiff arbeiten Mediziner:innen in einer isolierten Arbeitsumgebung mit begrenzten diagnostischen Möglichkeiten. Oft müssen sie eigenständige Entscheidungen treffen ohne direkten kollegialen Austausch. Die Ärzt:innen auf einem Schiff haben einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst im Wechsel und behandeln internationale Patient:innen unter besonderen räumlichen Bedingungen.
Gibt es spezielle Weiterbildungen für Schiffsärzte?
Ja, es gibt verschiedene Weiterbildungsmöglichkeiten für Schiffsärzt:innen, wie beispielsweise Kompaktkurse in maritimer Medizin. Außerdem gibt es einen Schiffsarztlehrgang mit praktischem Bordpraktikum sowie Sicherheitstrainings für die Arbeit auf See.
Wie wichtig sind Fremdsprachenkenntnisse für einen Schiffsarzt?
Fließende Englischkenntnisse sind ein absolutes Muss, weil sowohl die Crew als auch die Reisenden international sind. Medizinisches und pharmazeutisches Fachvokabular im Englischen muss sicher beherrscht werden.

Herr Dr. Kortenhorn, wie sind Sie Schiffsarzt geworden?
»Meine Frau und ich sind vor einigen Jahren auf eine Schiffsreise eingeladen worden. Zunächst dachte ich ›Das ist doch was für alte Leute‹, aber dann wurde es doch zu einer unvergesslichen Reise. Jeden Tag einen anderen Hafen und eine neue Stadt zu erkunden, das war traumhaft. Auf die Arbeit als Schiffsarzt wäre ich alleine nicht gekommen. Doch durch die Reise war mein Interesse geweckt und ich bewarb mich einfach bei einer Kreuzfahrtgesellschaft. Die wollten mich sogar gleich einstellen, aber mir wurde schnell klar, dass Schiffsarzt als Vollzeitjob nicht mit meinem Familienleben zusammenpasst.
Durch Zufall stieß ich dann auf einen Anbieter für Kreuzfahren, der medizinisches Fachpersonal auch für kürzere Zeiträume einstellt.«
Und wie ging es weiter? Einmal Weiterbildungsworkshop und dann »Schiff ahoi«?
»Nein, so einfach geht das zum Glück nicht. (lacht) Man muss einiges an Qualifikationen mitbringen. Ein gesondertes Medizinstudium für angehende Schiffsärzt:innen gibt es nämlich nicht. Das heißt, man muss schon mehrere Jahre fachärztliche Erfahrung mitbringen, idealerweise als Internist:in, Allgemeinmediziner:in, Anästhesist:in oder Chirurg:in mit den Fachkunden Notfallmedizin und Strahlenschutz. Verschiedene Unternehmen bieten Schiffsarztkurse auf einem Schiff an, hier lernt man die vielschichtigen Aufgaben und Verpflichtungen kennen. Auch Kommandoketten auf Schiffen muss man kennen und verinnerlichen, denn Schiffsärzt:innen gehören automatisch zu den Top 10 der Schiffsführung – das lässt man sich vorher gar nicht richtig durch den Kopf gehen.«
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Schiffsarzt aus?
»Das Team besteht aus zwei Ärzten, zwei Krankenschwestern und einer Arzthelferin.
Gearbeitet wird im 24-Stunden-Schichtbetrieb, jeweils gefolgt von einem freien Tag. Man ist sowohl für die Reisenden als auch für die Crew zuständig und hat für beide eigene Sprechstunden – dazu kommen dann noch Notfälle und Rufbereitschaft. Ich bin sozusagen der Hausarzt von circa 1.000 Mann Besatzung und bis zu 2.700 Passagier:innen sowie Notarzt in Personalunion. Das ist knallharte Arbeit. 40 bis 60 Patient:innen in der Sprechstunde pro Tag sind völlig normal, dazu kommen Notfälle wie Schnittverletzungen, Knochenbrüche, Infekte, aber auch lebensbedrohliche Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.«
Was ist für Sie der Reiz am Job?
»Also auf jeden Fall die ›50 Shades of Türkis‹. (lacht) Damit meine ich einfach die Vielfalt dessen, was es seeseitig zu entdecken gibt. Nicht nur das türkisfarbene Meer der Karibik und die Strände natürlich, sondern auch die zahllosen Häfen, all die Kulturen und Menschen. Was mich aber wirklich überrascht hat, war der Zusammenhalt der Crew. Das hatte ich so nicht erwartet. Beides ist unheimlich motivierend, inspirierend und manchmal auch richtig spannend.«
Gibt es ein Erlebnis auf See, dass Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
»Es gab selbstverständlich berufsbedingte Extremsituationen. Während meines letzten Einsatzes hatte ich zum Beispiel zwei Reanimationen innerhalb von 24 Stunden – bei zwei verschiedenen Patienten. Das war auf der Strecke Oslo – Kiel. Man weiß, dass etwas besonders Ernstes passiert ist, wenn nachts schiffsweit der Gong ertönt. Im ersten Fall waren wir auf halber Strecke zwischen Oslo und Kopenhagen. Die erste Entscheidung, die ich nach der primär erfolgreichen Reanimation treffen musste: Welchen Hafen fahren wir an? Wir sind dann mit maximaler Geschwindigkeit nach Kopenhagen durchgefahren, wo der Patient später operativ versorgt werden konnte. Am nächsten Nachmittag ertönte dann wieder der Gong. Eine zweite Reanimation, kurz vor Kiel. Zum Glück ist es für beide Patienten gut ausgegangen.«
Einmal von den Extremfällen abgesehen, was sind die häufigsten Diagnosen an Bord?
»Das sind meist Erkältungskrankheiten und verschiedenste Magen-Darm-Infektionen. Abgesehen von Notfällen aller Art also keine außergewöhnlichen Erkrankungen.«
Wenn Sie nicht auf hoher See sind, ist Ihr eigentlicher Lebensmittelpunkt die Insel Wangerooge, wo Sie Ihre Praxis betreiben. Wie lässt sich beides miteinander vereinbaren?
»Da ich mir in einer Praxisgemeinschaft mit einem Kollegen ›die Insel teile‹, arbeiten wir immer im wöchentlichen Wechsel. Das heißt, wenn der eine im Dienst ist, darf der andere nicht arbeiten. So komme ich auf 60 Tage im Quartal. Das hilft schon einmal ein wenig bei der Planung. Während eines Einsatzes auf dem Schiff habe ich immer jemanden, der mich in der Praxis vertritt.«
Würden Sie Ihre Tätigkeit als Schiffsarzt weiterempfehlen?
»Das ist wirklich eine Typfrage. Das Ganze ist kein Urlaub, auch wenn man natürlich viel von der Welt sieht und spannende Einsätze hat. Man trägt Verantwortung für 3.700 Menschen und muss manchmal in Windeseile Entscheidungen treffen, die man in einer normalen Praxis nie treffen müsste. Aber für Ärzt:innen, die Abwechslung mögen und sich neuen Herausforderungen stellen wollen, wartet eine großartige Lebenserfahrung. Hauptsache man ist nicht mehr grün hinter den Ohren und fachlich breit aufgestellt. Mir persönlich gibt dieses ›Hobby‹ sehr viel und ich zehre sehr lange davon, wenn ich wieder auf Wangerooge bin. Bei der Rückkehr merke ich dann oft, wie sehr mich der letzte Törn verändert hat. In die Welt hinauszuziehen, eröffnet einfach ganz neue Perspektiven auf Dinge des Alltags.«