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Kein Doktortitel in der Niederlassung

»Zusatzqualifikationen sind Patienten wichtiger als ein Doktortitel«

Ärzt:innen ohne Doktortitel? Eckhard Hattstein ist einer von ihnen. Im Interview verrät der niedergelassene Allgemeinmediziner, ob der fehlende Dr. med. Vor- oder Nachteile für die Niederlassung mit sich bringt und ob er es bereut, seine Dissertation nicht beendet zu haben.

Ein Arzt ohne Doktortitel spricht mit seiner Patientin.
Wie wichtig ist ein Doktortitel für die tatsächliche Behandlung deiner Patient:innen? ©iStock/Kobus Louw

Lesedauer: 5 Minuten

Herr Hattstein, braucht man als Arzt oder Ärztin einen Doktortitel? Oder etwas provokanter gefragt: Ist die Doktorarbeit sogar Zeitverschwendung?

Nein, man braucht den Doktortitel nicht.

Ist die Doktorarbeit Zeitverschwendung?

Das weiß ich nicht. Ich habe schließlich auch mit meiner Doktorarbeit angefangen.

Warum haben Sie Ihre Arbeit nicht beendet?

Ich bin mit der Arbeit nicht in der Zeit fertig geworden, die ich mir vorgenommen hatte. Ich habe etwas im Labor gemacht – und das wurde immer umfangreicher, dauerte länger und klappte nicht so. Dann war ich irgendwann mit dem Studium fertig und es musste immer noch etwas passieren.

Ich war damals Teil der Ärzteschwemme: Wir hatten wirklich Probleme, Jobs zu kriegen.* Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, aber das war so. Ich erhielt dann ein Jobangebot und hatte dadurch keine Zeit für die Doktorarbeit. Die Arbeit liegt immer noch unvollendet in einer Schublade. Meine Kinder lachen darüber und fragen mich, wann ich das Ding vollenden will.

Sie könnten Ihre Arbeit also noch beenden?

Ich weiß gar nicht, ob eine Universität das noch annehmen würde. Und die Vollendung der Arbeit hat bei mir gar keine Priorität. (lacht)

Heute arbeiten Sie in einer Niederlassung. Hat es da irgendwelche Nachteile gegeben, weil Sie keinen Doktortitel haben?

Nein. Für die Patienten bin ich eh der »Herr Doktor«. Ich werde nicht von allen, aber von vielen so angesprochen. Ist ja auch einfacher, als sich den Namen genau zu merken und all so Sachen. Bei den Patienten ist »Herr Doktor« oft ein Ausdruck von Respekt. Aber ansonsten braucht man den Titel für die Niederlassung nicht.

Haben Sie etwas im Verhalten von den Patient:innen bemerkt? Lassen sich vielleicht weniger Menschen von Ihnen behandeln?

Es fällt vielleicht schon mal jemandem auf, dass ich keinen Doktortitel habe. Oder wenn mich jemand mit »Herr Doktor, ist doch richtig so?« anredet, dann sage ich ganz korrekt: »Nein, ich bin ja ohne Doktor«. Ich habe eine Praxis mit 400 Scheinen von einem »Herr Doktor« gekauft. Und habe jetzt mit meinen beiden Kolleginnen eine Praxis mit 4.200 Scheinen – ohne Titel. Patienten achten eher auf Zusatzqualifikationen wie bei mir die Verkehrs- und Sportmedizin. Für sie ist das bei einem niedergelassenen Arzt oft ein höheres Qualitätsmerkmal als der Doktortitel. Und auch nicht zu vergessen ist die Empathie.

Ihre Kolleginnen in der Gemeinschaftspraxis sind beide promoviert – Sie nicht. War das jemals ein Thema zwischen ihnen?

Nein, das war nie ein Thema. Doktorarbeiten haben häufig Themen, die einem nie in der Praxis begegnen werden. Man weist im Grunde nur nach, dass man akademisch arbeiten kann. Im klassischen Sinne ist das keine Qualifikation. Im akademischen Bereich sieht das anders aus: Man wird wahrscheinlich kein Chefarzt ohne Promotion. In der Niederlassung interessiert es aber niemanden.

Haben Sie es jemals bereut, Ihre Arbeit nicht beendet zu haben?

Ich habe bereut, dass ich mir kein einfacheres Thema ausgesucht habe. Ich glaube, das hätte man einfach locker mitmachen können. Aber heute spielt es in dem Sinne nur eine Rolle für mich, als dass ich bei einem Umzug mal den Karton mit meiner unvollendeten Arbeit in den Händen halte.

In anderen Ländern wie Österreich oder den USA erhalten Medizinstudierende nach Studienabschluss automatisch ein Berufsdoktorat. Fänden Sie das für Deutschland auch gut?

Ich glaube, ich fände das gut. Im Vergleich zu einem promovierten Chemiker ist die Doktorarbeit häufig keine herausragende akademische Leistung. Aus dieser Perspektive kann man sich das Ganze sparen, weil exotische Nischenarbeiten keine Relevanz für die Praxis haben.

Was würden Sie Studierenden raten?

Ich kenne die aktuelle Quote nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass es die Hälfte der Studenten ist, die sagt: »Das spar ich mir.« Die andere Hälfte macht’s oder versucht es zumindest. Zum Finishen muss man ja dann auch noch Zeit und guten Kontakt zum Doktorvater haben. Wenn es ein einfaches Thema gibt, dann würde ich es machen. (lacht) Viele haben erst das Gefühl, das Medizinstudium erfolgreich beendet zu haben, wenn sie den Doktortitel erhalten.

*Die sogenannte Ärzteschwemme beschreibt die schwierige Arbeitsmarktsituation von Mediziner:innen von 1982 bis 2002. Im Gegensatz zu heute gab es damals mehr approbierte Ärzt:innen als offene Stellen im medizinischen Bereich.

 

 

Über die Autor:innen

Das Redaktionsteam der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Dachorganisation aller 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und vertritt die Interessen von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Bundesebene. Auf »Lass dich nieder!« gibt das Redaktionsteam Medizinstudierenden nützliche Tipps rund ums Studium und teilt Erfahrungen und Fakten rund um die ärztliche Niederlassung.

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