Klima- und Umweltschutz ist Gesundheitsschutz
Die Klima- und Umweltkrise wirkt sich bereits heute auf die Gesundheit und Lebensqualität vieler Menschen aus. An der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg leitet Dr. Michael Eichinger das Forschungsfeld Planetary Health. Es befasst sich mit den gesundheitlichen Folgen der Klima- und Umweltkrise und entwickelt Lösungsansätze für ein gesundes und nachhaltiges Leben.
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Dr. Eichinger, Sie leiten an der Medizinischen Fakultät Mannheim das Forschungsfeld Planetary Health, was steckt genau dahinter?
»Planetary Health ist ein relativ junges Querschnittsfach, das sich vor allem mit der Abhängigkeit der menschlichen Gesundheit von der natürlichen Umwelt beschäftigt. Planetary Health unterstützt uns dabei, die komplexen Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Klima- und Umweltkrise zu systematisieren. Im Fokus steht in Mannheim die Entwicklung von Lösungsansätzen, die ein gesundes und nachhaltiges Leben für alle Menschen ermöglichen. Am Standort lehren wir Planetary Health seit 2020.«
Wieso ist das Thema so wichtig?
»Die wissenschaftliche Literatur belegt, was wir alle in unserem Umfeld wahrnehmen: Die Klima- und Umweltkrise ist die größte Bedrohung unser aller Gesundheit. Dieser Befund ist einfach und fundamental zugleich, wenn wir ihn ernst nehmen. Die Klimakrise betrifft alle Ärztinnen und Ärzte, aber auch alle anderen Fachkräfte im Gesundheitswesen. Interprofessionelle Zusammenarbeit ist hier besonders wichtig. Darüber hinaus bedarf die Klima- und Umweltkrise gesamtgesellschaftlicher Lösungen.«
Also das Thema nach außen tragen?
»Alle Ärztinnen und Ärzte sollten über den Klimawandel und Planetary Health als Gesundheitskonzept Bescheid wissen und handlungsfähig werden. Ärztinnen und Ärzte genießen in der Regel großes Vertrauen in der Bevölkerung und dieses können wir nutzen, um auf die weitreichenden gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise aufmerksam zu machen. Im Zentrum steht die Botschaft: Die Klima- und Umweltkrise ist eine Gesundheitskrise. Und Klima- und Umweltschutz sind Gesundheitsschutz. Es geht nicht nur um Eisbären, sondern in erster Linie um unsere Gesundheit – um nichts weniger als ein gesundes Leben für uns alle. In letzter Konsequenz steht das Überleben unserer Zivilisation auf dem Spiel. Diese Botschaft zu transportieren und Lösungswege aufzuzeigen ist eine große Chance für uns Ärztinnen und Ärzte, angesichts der Klima- und Umweltkrise zu einem gesunden Leben für alle Menschen beizutragen.«
Welche Aspekte sind im Kontext von Planetary Health wichtig?
»Für uns Ärztinnen und Ärzte geht es zunächst einmal um die klinische Versorgung, also die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten. Die Klima- und Umweltkrise betrifft alle Organsysteme und daher auch alle Fachgebiete der Medizin. Deshalb setzen wir uns auch dafür ein, dass das Thema in allen Abschnitten des Medizinstudiums gelehrt wird.«
Also als Pflichtfach im Medizinstudium?
»In den letzten Jahren sind an zahlreichen Medizinischen Fakultäten Angebote im Wahlpflichtbereich entstanden. Wir selbst bieten in Mannheim beispielsweise seit dem Jahr 2020 jedes Semester das Wahlfach Klimakrise und Gesundheit an. Damit erreichen wir ca. zehn Prozent der Studierenden eines Jahrgangs. Da alle Ärztinnen und Ärzte mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Klima- und Umweltkrise konfrontiert sein werden, müssen wir uns alle darauf vorbereiten. Darum ist es essenziell, dass Planetary Health an allen Medizinischen Fakultäten als Querschnittsfach in das Kern-Curriculum aufgenommen wird. Natürlich ist das Medizinstudium schon sehr voll und es gibt eine hohe Lernbelastung. Deshalb müssen wir klug überlegen, wie wir das Thema Klimakrise und Gesundheit mit bestehenden Lehrinhalten verknüpfen. Es geht weniger darum, zahlreiche neue Lehrveranstaltungen zu schaffen, sondern darum, das Thema konsequent und in allen Semestern in bestehende Lehrveranstaltungen zu integrieren. Hierfür gibt es zahlreiche niederschwellige Möglichkeiten: In der bestehenden Pulmologie-Vorlesung zu Asthma bronchiale werden die Auswirkungen der Klimakrise auf die Pollenbelastung und Asthma-Verläufe diskutiert. Analog lassen sich Schnittflächen für alle anderen vorklinischen und klinischen Fachbereiche identifizieren. Planetary Health ist ein Querschnittsthema, das alle Fachbereiche etwas angeht und zu dem alle beitragen können.«
Wie kann das geschehen?
»Der Themen- und Fachkatalog Planetare und Globale Gesundheit im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin kann die Lehrentwicklung an Medizinischen Fakultäten unterstützen. Der Katalog zeigt auf, welche Fachbereiche von den gesundheitlichen Folgen der Klimakrise betroffen sind, und gibt konkrete Anregungen, an welchen Stellen diese Aspekte in bestehende Lehre integriert werden können. Darüber hinaus gibt es mittlerweile viele qualitativ hochwertige Lehr- und Lernmaterialien, die frei zugänglich sind und mit begrenztem Aufwand in die Lehre integriert werden können. Gerade für weniger erfahrene Dozierende sind dies tolle Möglichkeiten, um in die Lehre zu Planetary Health einzusteigen. Beispiele sind die Planetary Health Academy der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) und der Leitfaden für Lehre zu Planetary Health. Darüber hinaus leisten Studierende einen wesentlichen Beitrag zur Lehrentwicklung in diesem Bereich. Wir sehen häufig, dass Medizinische Fakultäten besonders dann Vorreiter in der Lehrentwicklung sind, wenn sie eng mit ihren Studierenden zusammenarbeiten. Diesen Aspekt der Lehrentwicklung untersuchen wir gerade in einem Lehrforschungsprojekt, in dem wir in Zusammenarbeit mit Studierenden innovative Lehr- und Lernkonzepte entwickeln.«
Wie kann das Gesundheitswesen neben der Behandlung von neuen oder gehäuft auftretenden Krankheiten noch einen Beitrag leisten?
»Neben einer qualitätsvollen Behandlung unserer Patientinnen und Patienten geht es im Bereich Planetary Health auch darum, das Gesundheitswesen nachhaltiger zu machen, denn es ist für ca. fünf Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Als Ärztinnen und Ärzte haben wir einen Einfluss darauf, wie wir in unseren Kliniken und Praxen mit Ressourcen umgehen. Beispiele sind der sparsame Einsatz von Einwegartikeln, der Umstieg auf nachhaltige Stromanbieter und Banken sowie die Nutzung des Umweltverbunds auf dem Weg von und zur Arbeit. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei ein systematisches Vorgehen. Es gilt, jeden Bereich der Klinik oder Praxis auf Nachhaltigkeitsaspekte abzuklopfen. Damit dies gelingt, braucht es neben der Unterstützung der gesamten Institution Personen, die das Mandat haben, den nachhaltigen Umbau der Institution systematisch voranzubringen. Während in Kliniken zunehmend Klimamanagerinnen und Klimamanager eingestellt werden, können in Praxen Mitarbeitende die Rolle von Nachhaltigkeitsbeauftragten übernehmen. Darüber hinaus haben wir in der Politikberatung die Möglichkeit, Gesundheitsaspekte der Klima- und Umweltkrise auf die politische Agenda zu bringen und Entscheidungstragende mit gesundheitswissenschaftlicher Evidenz zu unterstützen.«
Wie macht sich der Klimawandel jetzt schon im Praxisalltag bemerkbar?
»Ein paar Beispiele, die bereits jetzt relevant sind: Viele Patientinnen und Patienten sind auf Medikamente angewiesen, die bei Hitzewellen Probleme verursachen können und daher von uns Ärztinnen und Ärzten hinsichtlich einer gegebenenfalls notwendigen Dosisanpassung überprüft werden sollten. Hierzu zählen beispielsweise Diuretika und gewisse Psychopharmaka. Bei Kindern sehen wir während Hitzewellen vermehrt akute Nierenerkrankungen und bei Säuglingen besteht eine erhöhte Gefahr für Exsikkosen. Allergikerinnen und Allergiker mit Asthma bronchiale und Heuschnupfen bemerken, dass die Pollenzeit länger und intensiver wird und neu eingewanderte Pflanzen ihre Symptome zusätzlich verschlechtern können.«
Neben der körperlichen leidet auch die seelische Gesundheit?
»Definitiv. Klimaangst stellt bereits heute ein großes Problem dar. In einer Studie, die im Jahr 2021 in der Fachzeitschrift Lancet Planetary Health veröffentlicht wurde, waren fast 60 Prozent der jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren sehr über die Klimakrise besorgt. Viele Teilnehmende gaben an, dass die Sorgen über die Klimakrise ihr tägliches Leben negativ beeinflusste. Klimaangst betrifft damit wesentliche Teile der Bevölkerung und wird voraussichtlich in den kommenden Jahren noch zunehmen.«
Wie kann die Forschung hier helfen?
»In den meisten Bereichen liegen alle notwendigen Lösungen auf dem Tisch. Zudem ist die Wissenschaft in ihren Aussagen zum weitreichenden Transformationsbedarf sehr klar. Häufig scheitert es jedoch an der flächendeckenden Umsetzung vorhandener Lösungen oder die Umsetzung erfolgt zu langsam. Hier kann Forschung einen wichtigen Beitrag leisten. In der Implementierungsforschung beschäftigen wir uns schwerpunktmäßig mit der Entwicklung von Rahmenbedingungen und Strategien, wie die vielen Mut machenden Win-win-Lösungen, die gut für Klima, Umwelt und Gesundheit sind, breitflächig umgesetzt werden können. In meiner Arbeitsgruppe beschäftigen wir uns zum Beispiel gemeinsam mit Kommunen mit der Umsetzung der kommunalen Verkehrswende. Nicht aus den Augen verlieren dürfen wir die soziale Dimension der Klima- und Umweltkrise. In den allermeisten Fällen haben die Gruppen, die am stärksten von den gesundheitlichen Auswirkungen der Klima- und Umweltkrise betroffen sind, am wenigsten zu ihrer Entstehung beigetragen. Daraus folgt, dass Anpassungsmaßnahmen insbesondere diese vulnerablen Gruppen ins Zentrum rücken müssen, da ansonsten die gesundheitliche Ungleichheit deutlich zunehmen wird. Da müssen wir bereits jetzt gegensteuern.«
Über die Autor:innen
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Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Dachorganisation aller 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und vertritt die Interessen von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Bundesebene. Auf »Lass dich nieder!« gibt das Redaktionsteam Medizinstudierenden nützliche Tipps rund ums Studium und teilt Erfahrungen und Fakten rund um die ärztliche Niederlassung.