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Wenn Angst krank macht

Nocebo-Effekt: Was dahinter steckt und wie du ihn verringern kannst

Noch nie vom Nocebo-Effekt gehört? Er wird oft als das Gegenteil des Placebo-Effektes bezeichnet – als seine dunkle Seite. Er kann erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden und den Therapieerfolg deiner Patient:innen haben. Doch mit der passenden Kommunikation bekommst du ihn besser in den Griff.

Eine junge Patientin wird von ihrer Ärztin in einem vertraulichen Gespräch über Risiken ihrer Behandlung aufgeklärt.
Im Aufklärungsgespräch lassen sich mit der richtigen Gesprächsführung Nocebo-Effekte verringern oder ganz vermeiden. ©iStock/fizkes

Info für mich

• Keine Wiederholungen, wenn es nicht nötig ist

• Recht auf Nichtwissen (Aufklärungsverzicht)

• Missverständnisse vermeiden oder ausräumen

• Positiv formulieren

• Risiko und positiven Nutzen kommunizieren

• Mehrere Szenarien aufzeigen

• Ärztlichen Beistand geben

Lesedauer: 6 Minuten

Was ist der Nocebo-Effekt?

Der Nocebo-Effekt beschreibt unerwünschte Nebenwirkungen einer Scheinbehandlung. Wenn diese also nicht heilt, sondern Beschwerden verschlimmert oder sogar erst hervorruft. Tatsächlich kann der Nocebo-Effekt große Auswirkungen auf die Heilung beziehungsweise Therapie von Patient:innen haben.  

Ein praktisches Beispiel für den Nocebo-Effekt: 

In einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aus dem Jahr 2017 behandelten Wissenschaftler:innen Probanden mit einer Salbe, die angeblich gegen Hautekzeme helfen sollte. Den Teilnehmer:innen wurde beim Auftragen mitgeteilt, dass die Creme als Nebenwirkung die Schmerzempfindlichkeit erhöhen könne. Mit der Studie wolle man dies testen. Nach dem Einreiben wurde die Haut der Teilnehmer:innen mit einer heißen Sonde gereizt. Sie sollten nun berichten, wie stark sie Schmerzen verspürten. Gleichzeitig wurde ihre Hirnaktivität mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) untersucht. Die Salbe wurde außerdem in unterschiedlichen Behältnissen präsentiert: der einen Hälfte der Teilnehmer:innen in einem teuer anmutenden Tiegel mit dem Hinweis auf den hohen Preis der Salbe. Die andere Hälfte bekam die Creme in einer einfachen Verpackung mit der Information, dass die Salbe einen eher niedrigen Preis hat. Tatsächlich gab es in beiden Gruppen Nocebo-Effekte. Die Salbe besaß keinerlei Wirkstoffe, trotzdem empfanden die Probanden den Hitzereiz mit der Salbe als schmerzhafter.

Die Hirnscans zeigten, dass es sich dabei nicht einfach um Einbildung handelte: Im Gehirn waren beim Reizen der Haut die Areale aktiver, die bei einer echten Zunahme der Schmerzempfindlichkeit stärker reagieren. Und: Sowohl der subjektiv empfundene Schmerz als auch die Schmerzreaktion im Gehirn war bei den Menschen höher, die die angeblich teurere Salbe erhalten hatten.  

Welche Symptome können durch den Nocebo-Effekt ausgelöst werden?

Der Nocebo-Effekt kann also Symptome wie Schmerzen auslösen. Untersuchungen haben gezeigt, dass er subjektive, aber auch objektive Symptome hervorrufen kann. Zu den subjektiven Beschwerden gehören zum Beispiel Übelkeit, Kopfschmerzen oder Benommenheit. Objektiv messbare Symptome umfassen beispielsweise einen erhöhten Blutdruck oder eine erhöhte Herzfrequenz.

Wie entsteht der Nocebo-Effekt?

Wenn du deine Patient:innen aufklärst, besprichst du ausführlich mögliche Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten oder Therapien. Deine Patient:innen müssen in die Lage versetzt werden zu verstehen, welche Chancen, aber auch welche gesundheitlichen Komplikationen sich aus der Behandlung ergeben können. Das Problem ist, dass einige Menschen dadurch so beeinflusst werden, dass sie sich auf die negativen Aussagen fokussieren und von ungünstigen Auswirkungen auf sie ausgehen. Durch das Besprechen eines möglichen Risikos und der Nebenwirkungen werden unter Umständen genau diese Nebenwirkungen bei ihnen ausgelöst oder verstärkt. Studien haben gezeigt, dass die Nocebo-Effekte nicht unspezifisch sind. Die ausgelösten Beschwerden spiegeln tatsächlich die Beschwerden wider, die als Nebenwirkung im Risikogespräch geschildert wurden.  

Aufgrund dessen nehmen Patient:innen Medikamente zum Teil nicht mehr ordnungsgemäß ein oder brechen die Therapie ab. Angst, Stress und Pessimismus – ausgelöst durch die Risikoaufklärung – können großen Einfluss auf das Behandlungsergebnis haben. Ein echtes Dilemma.

Warum kommt es zum Nocebo-Effekt?

Der Nocebo-Effekt basiert bei betroffenen Personen auf komplexen psychologischen und neurologischen Mechanismen. Zum einen spielt eine Konditionierung durch frühere negative Erfahrungen eine Rolle. Der Nocebo-Effekt tritt also auch auf, wenn man eine Behandlung oder Therapie mit unangenehmen Empfindungen verknüpft hat. Schmerzverarbeitende Hirnregionen werden aktiv und es lassen sich mitunter auch Veränderungen im Hormonsystem und bei Neurotransmittern feststellen.

Wie beeinflusst Angst den Nocebo-Effekt?

Der Nocebo-Effekt wird durch Angst verstärkt. Ängstliche oder pessimistische Menschen leiden also eher unter diesem Effekt. Die negative Haltung führt zu messbaren Veränderungen im Körper: Der Endorphinspiegel sinkt ab, sodass sich Patient:innen  schlechter fühlen und schmerzempfindlicher sind.

Gleichzeitig schüttet der Körper, wenn er etwas Negatives erwartet, mitunter den Botenstoff Cholezystokinin aus. Dabei handelt es sich um ein Hormon, das im Gehirn als Neurotransmitter wirkt und an der Entstehung von Angst und Panik beteiligt sein kann. Angst ist also ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von Nocebo-Effekten.

Welche Rolle spielen Erwartungen beim Nocebo-Effekt?

Negative Erwartungen sind neben der Angst mit Hauptauslöser für Nocebo-Effekte. Die Erwartungen beruhen beispielsweise auf früheren negativen Erfahrungen, Informationen aus Medien oder Beipackzetteln und negativen Überzeugungen bezüglich der Behandlung.

Wie häufig kommt der Nocebo-Effekt vor?

Der Nocebo-Effekt hat Auswirkungen auf den klinischen Alltag. Expert:innen vermuten, dass er für viele unerwünschte Ereignisse, die durch die Einnahme von Medikamenten verursacht wurden, verantwortlich ist. Wie groß der Anteil des Nocebo-Effektes dabei ist, lässt sich nicht genau definieren. Zu unterschiedlich sind die erlernten Erwartungshaltungen sowie Persönlichkeitsmerkmale der Patient:innen. Dennoch zeigen Ergebnisse großer, randomisiert-kontrollierter Arzneimittelstudien, dass der Nocebo-Effekt zwischen 40 und 100 Prozent der unerwünschten Ereignisse ausmachen kann.

Welche Rolle spielt die ärztliche Kommunikation beim Nocebo-Effekt?

Wie bereits erläutert, hat die Arzt-Patienten-Kommunikation einen entscheidenden Einfluss darauf, ob ein Nocebo-Effekt auftritt. Im gemeinsamen Gespräch kann schon medizinischer Fachjargon oder eine unbeabsichtigte negative Suggestion den Effekt auslösen. Daher ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung und positive Kommunikation wertvoll, um deine Patient:innen vor dem Nocebo-Effekt zu schützen.

Wie lässt sich der Nocebo-Effekt im besten Fall vermeiden?

Eine zentrale Rolle spielt also das Patientengespräch: Bist du dir des Nocebo-Effektes bewusst, kannst du den Dialog weniger traumatisierend für dein Gegenüber gestalten. Dabei kannst du einige Punkte berücksichtigen:

1. Wiederhole die Aufklärung nicht. 

Ist dein:e Patient:in bereits aus einer vorherigen Behandlung über Risiken aufgeklärt und besitzt das nötige Wissen, solltest du Risiken nicht noch einmal ausführlich darlegen. Denn durch Wiederholungen können sich Nocebo-Effekte verstärken. Um sicher zu gehen, kannst du das Wissen abfragen. Schildern Patient:innen selbst mögliche Nebenwirkungen, ist es weniger angsterregend, als wenn die Informationen von dir kommen.

2. Patient:innen dürfen auf Aufklärung verzichten. 

Deine Patient:innen müssen auch über das Risiko einer Risikoaufklärung informiert werden, da ein relevanter Teil der Nebenwirkungen daraus entstehen kann. So kann dein:e Patient:in das Recht auf Unversehrtheit wahrnehmen und auf die ausführliche Aufklärung verzichten.

3. Vermeide Missverständnisse. 

Mitunter hat dein Gegenüber feste Vorstellungen darüber, wie gefährlich sich bestimmte Nebenwirkungen auswirken, zum Beispiel ein Herzinfarkt. Im Rahmen einer klinischen Überwachung und Therapie kann dieser jedoch schnell entdeckt und behandelt werden. Er ist somit weniger lebensbedrohlich, als wenn ein Mensch diesen allein zu Hause erleidet. Du kennst aber zunächst diese Ängste nicht und kannst nicht darauf eingehen. Eine Möglichkeit diese zu erfahren, ist, am Ende des Gespräches noch eine Frage zu stellen: »Gibt es etwas, dass Sie in diesem Gespräch beunruhigt hat?«

4. Formuliere positiv, wenn möglich. 

Du kannst zum Beispiel sagen: »95 Prozent der Patient:innen vertragen dieses Medikament sehr gut« statt »Bei fünf Prozent kommt es zu Nebenwirkungen«. Sage lieber nicht: »90 Prozent haben keine Schmerzen.« Denn auch wenn du im Satz deutlich machst, dass viele schmerzfrei sind, nutzt du das Wort »Schmerzen« und das bleibt im Gedächtnis.

5. Zeige alternative Szenarien auf. 

Wenn du negative Erwartungen im Gespräch wahrnimmst, kannst du diese aufgreifen und andere Szenarien entwerfen. Ein Beispiel: »Beim letzten Mal ist mir nach der Narkose sehr übel gewesen.« Darauf kannst du erwidern: »Ich habe viele Patient:innen, die mir zunächst Ähnliches berichteten, dann aber die Narkose sehr gut vertragen haben.«

6. Nenne bei Risiken auch positive Aspekte. 

Verdeutliche bei der Aufklärung auch den Nutzen der Therapie – ohne falsche Versprechungen. Du kannst erläutern, welche prophylaktischen Maßnahmen du empfiehlst oder wie du bei möglichen Nebenwirkungen schnell einschreiten und die Beschwerden somit mindern kannst.

7. Unterstütze deine Patient:innen. 

Es gibt im Netz und den Sozialen Medien eine Informationsflut zum Thema Krankheit und Therapie. Für viele Menschen ist es sehr schwer, die für sie richtigen und wichtigen Hinweise herauszufiltern und für sich selbst einzuordnen. Daher ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Ärzt:innen und Patient:innen von großer Bedeutung. Trost und Beistand zu spenden sind wichtige Aufgaben von Mediziner:innen. 
 

 

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