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Digitalisierung in der Medizin

»Medizin wird skalierbar«

Digitalisierung spielte in der Medizin lange eine eher untergeordnete Rolle. Doch jetzt ist ein Wandel zunehmend spürbar. Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz treibt die Digitalisierung voran. Dass davon nicht nur die Studierenden profitieren, erzählt Dr. Christian Elsner, Kaufmännischer Vorstand der Universitätsmedizin, im Interview.

Eine Ärztin steht mit einem Tablet im Krankenhausflur.
Digitalisierung kann dir einige Vorteile im Arbeitsalltag verschaffen. ©iStock/Monkeybusinessimages

Lesedauer: 8 Minuten

Schon 2017 gab es bei Ihnen an der Universitätsmedizin ein einwöchiges Wahlpflichtfach mit dem Titel „Medizin im digitalen Zeitalter“. Das innovative Lernkonzept setzte sich mit Social Media, Smart Devices, Apps, Telemedizin, Virtual Reality und Big Data auseinander. Wissensvermittlung wurde ins E-Learning verlagert, um Raum zu schaffen für praktisches Arbeiten und Diskutieren in der Präsenzzeit. Welche Resonanz gab es bei den Studierenden und Mediziner:innen darauf? 

»Dieses Wahlpflichtfach hat damals Prof. Dr. Sebastian Kuhn* auf den Weg gebracht, der sich auf dem Feld Digitalisierung sehr engagiert. Und ich kann sagen, in Summe nach anfänglichen Berührungsängsten, ist das Wahlpflichtfach sehr gut angenommen worden. Nach meiner Kenntnis fließen diese Inhalte nun auch mit ein in die bundesweite Ausbildung und prägt diese mit.«

 

Danach ging es weiter bei Ihnen im Haus mit einem weiteren Digital-Format: dem Healthcare Hackathon. Wie funktioniert dieses Format und welche Ziele verfolgt es? 

»Im Grunde gab es zwei Stränge zum Thema Digitalisierung. Einmal das einwöchige Wahlpflichtfach und zum anderen das Format Healthcare Hackathon, das ich mitgebracht habe als ich zur Johannes-Gutenberg-Universität kam. Im Grunde ist es der gleiche Gedanke, der auch beim Wahlpflichtfach eine zentrale Rolle spielt: eine lockere, zwanglose Umgebung zu schaffen, sich mit Digitalisierungsthemen ganz hands-on auseinanderzusetzen. Die Idee dieses Formats ist es, interdisziplinäre Gruppen zu Challenges zusammenzubringen. Anschließend können sich dann Start-ups mit Pflegeteams zusammentun und ein prototypisches Produkt entwickeln und ausprobieren. Wir haben dazu spezielle Arbeitsumgebungen, wir bauen einen OP oder ein Behandlungszimmer nach, in dem man Digitaltechnologien ausprobieren kann. Man kann sich 24 oder 48 Stunden lang intensiv austoben.« 

Hat sich der Hackathon inzwischen weiterentwickelt?

»Ja, tatsächlich. Es stehen nicht mehr nur Digitalthemen auf der Agenda, sondern auch Themen wie Arbeitszeitmodelle, New Work, Flexibilität im Arbeitsalltag. Es geht um Fragen wie: Kann es auch Gleitzeit in der Pflege geben?« 

Wieviel fließt vom Hackathon tatsächlich in die Praxis ein? 

»Das sind schon 10 bis 20 Prozent. Das mag wenig klingen, aber hier ist auch der Weg das Ziel. Ein Pflegeteam, das sich auf einem Hackathon mit Digitalisierung auseinandergesetzt hat, begegnet digitalen Themen zukünftig auf der Station anders. Das Denken ändert sich. Das Tolle ist: Der Hackathon ist hierarchieübergreifend, er lebt sogar davon. Es gibt jedes Mal ganz gemischte Teams: von Studierenden bis zu Rentner:innen, von Patient:innen über Mediziner:innen.« 

Neben dem Hackathon gibt es auch den Gutenberg Health Hub. Was genau ist das für ein Projekt?

»Der von uns gegründete Gutenberg Health Hub ist die Weiterführung des Hackathons, wo immer ganz viele Ideen entstehen. Dann ergibt sich die Frage, wo kristallisieren sich diese Ideen am Campus heraus, wo können Projekte dauerhaft nachgehalten und bearbeitet werden? Genau das passiert im Gutenberg Health Hub.« 

Können Sie dazu ein konkretes Beispiel geben?

»Ein Beispielprojekt ist das Self-Check-in von Patient:innen. Wir haben uns gefragt, wie können wir Abläufe für Patient:innen besser gestalten, sodass diese weniger Wartezeiten bei der Klinikaufnahme haben. Dazu haben wir eine App entwickelt, mit der Patient:innen schon von zu Hause aus die Pflege-Anamnese eingeben können. Diese wird in unser System direkt durchgereicht. Darin steht zum Beispiel der von der Person selbst erhobene Blutdruck. Eine solche Technik zu nutzen ist für den Medizinbereich schon ein wenig revolutionär. 

Bei einem anderen Projekt ging es darum, KI-Algorithmen für die Befundung von Histo-Scans (Gewebsschnitten) zu trainieren. Diese Algorithmen wurden für zwei unterschiedliche Tumorentitäten gebaut und trainiert. Das System zeigt – ähnlich wie ein Fahrassistenzsystem – bei der Untersuchung mit dem Mikroskop an, wo Mediziner:innen genauer hinschauen müssen. Das wollen wir jetzt im Rahmen von unserer Krankenhauszukunftsgesetz-Initiative einsetzen. Unser Ziel ist es auch, eine Art App-Store für die Medizin aufzubauen. Es muss einen medizinischen, geregelten Austausch dieser Algorithmen untereinander geben – gehostet auf einer einheitlichen Plattform. Diese Plattform wollen wir aus diesem ersten erfolgreichen Ansatz heraus entwickeln. Wir denken, dass die Unimedizin von morgen gut annotierte Datenschätze zur Verfügung stellen wird, damit andere darauf ihre Algorithmen trainieren können. Medizin wird skalierbar und in Algorithmen gefasst. Und das ist auch eine Rolle der universitären Spitzenversorgung da mitzuwirken.« 

Können solche Projekte auch für die Niederlassung interessant werden?

»Bei diesem eben beschriebenen Beispiel ist offen, wer damit arbeitet. Die algorithmische Untersuchung von Zellen, von Krebsarten mit KI und anderen Methoden wird sicher auch mehr in die Breite gehen. Es ist durchaus vorstellbar, dass es irgendwann möglich ist, dass Patient:innen einen Blutstropfen in der Niederlassung abgeben und die Ärzt:innen dort können anhand dessen herausfinden, wie dieser Art von Krebs therapiert werden kann. Es ist denkbar, dass KI auch in den Niederlassungen in Zukunft eine stärkere Rolle spielen wird.« 

Wenn es um Digitalisierung geht, welche Lehren ziehen sie aus der Corona-Zeit?

»Wir haben gelernt, dass wir immer häufig zu kompliziert bei der Digitalisierung denken. Zum Beispiel die papierlose Terminvereinbarung und Testung in einem Corona-Testzentrum. Wir haben dafür eine simple webbasierte Oberfläche entwickelt, eine sogenannte Web-Based-App. Bei dieser kann man aus drei Terminen, die zur Verfügung stehen, auswählen. Unsere Ambulanzen hier auf dem Campus haben festgestellt: Mensch, so etwas suchen wir schon seit fünf Jahren. Aber wir haben viel zu kompliziert gedacht: Wir sind davon ausgegangen, dass man einen großen Kalender öffnen und aus zig Terminen auswählen muss. Die einfachen Lösungen sind oft die besseren.« 

Könnte diese Terminsuche und -buchung auch eine Anwendung für Praxen sein?

»Ja, diese eben beschriebene Software wurde jetzt für unsere dermatologische Sprechstunde in Betrieb genommen. Sie machen damit ihre Online-Terminvereinbarung und wollen das jetzt auf die gesamte Klinik ausrollen. Das wäre tatsächlich auch etwas für die Niederlassung. Wir wollen diese Entwicklung als Open Source veröffentlichen. Denn wir glauben, dass Dinge damit besser werden. Da könnte nun ein Start-up ins Spiel kommen, das sich dieses Open-Source-Projekts annimmt und es als Dienstleistung für die Niederlassung anpasst.« 

* Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn, Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Ausbildungsforscher und Hochschuldidaktiker an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, leitet seit mehr als zehn Jahren Projekte im Bereich Telemedizin sowie weitere Digitalisierungsprojekte. 2017 etablierte er das erste Curriculum „Medizin im Digitalen Zeitalter“ für Studierende. Gemeinsam mit der Bundesärztekammer entwickelte er 2019 ein Fortbildungscurriculum zum Digitalen Wandel. 

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