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Medizinstudium in Litauen

Keine Angst vor dem Unbekannten

Wie ein Autounfall den Berufswunsch beeinflusst und das Medizinstudium in Litauen abläuft – das erzählt uns Studentin Jessica Krosny im Interview.

Eine junge Studentin lächelt in die Kamera.
Jessica Krosny absolvierte ihr Medizinstudium an der Vilnius University. ©privat

Lesedauer: 8 Minuten

Der Moment, in dem Jessica Krosny wusste, dass sie Ärztin werden möchte, hat sich bis heute eingeprägt. Gemeinsam mit ihrer Schwester wird sie Zeugin eines Autounfalls und zur Ersthelferin: »Mit anderen Helfer:innen haben wir die Verletzte aus dem Auto geholt und auf eine Parkbank gelegt, auf der sie hyperventilierte. Ich weiß noch, wie ich als kleines Mädchen ihre Hand gehalten habe«, erinnert sich die Studentin. Während sie auf den Rettungshubschrauber warteten, übermannte sie ein Gefühl der Hilflosigkeit. Da war klar: »Ich möchte in der Lage sein, Hilfe zu leisten. Egal in welcher Situation.« Wir haben Jessica Krosny gefragt, wie es sie dann zum Studium nach Litauen gezogen hat und was ihre Pläne für die Zukunft sind.

Wie bist du zum Auslandsstudium in Litauen gekommen?

»Mit einem Abi-Durchschnitt von 1.8 war klar, dass das wahrscheinlich in Deutschland nicht reichen würde. Ich habe dann nach Alternativen gesucht: von Bundeswehr bis Wartezeit war alles dabei. Ich wollte aber so schnell wie möglich studieren und fertig werden. Ich bin dann mit einer Agentur aufs Auslandsstudium gekommen und habe mich beworben.«

Mit Erfolg. Seit wann lebst du in Vilnius?

»Ich bin im August 2017 nach Litauen in meine erste eigene Wohnung gezogen. Durch Corona waren aber viele Vorlesungen und Seminare nur online, weswegen ich fast 1,5 Jahre bei meinen Eltern in der Nähe von Karlsruhe gewohnt habe und meine Wohnung in Litauen leer stand.«

So es möglich war, hast du auch vor Ort an der Vilnius University studiert. Wie laufen dort die Vorlesungen?

»Die Vorlesungen und Seminare sind komplett auf Englisch, unsere Prüfungen laufen auch auf Englisch ab. Wir hatten einen Litauischkurs ganz am Anfang des Studiums, in dem wir die Basics und spezifische Sprache für die Klinik gelernt haben. Jetzt wird mittlerweile auch ein Kurs angeboten, bei dem man freiwillig Litauisch bis zum B1-Sprachniveau lernen kann – ich habe den freiwilligen Kurs gemacht und kann mittlerweile litauisch sprechen und verstehen. Im Patientenkontakt versuche ich mich zumindest an der Anamnese und einem Gespräch.«

Empfiehlst du das anderen internationalen Student:innen?

»Ja, zumindest den Patient:innen gegenüber ein bisschen Basics zu lernen. In Litauen sprechen aber auch fast alle englisch und gerade die älteren Einwohner russisch – also Leute, die englisch oder russisch sprechen können, haben auch einen Vorteil.«

Wo stehst du gerade in deinem Studium?

»Ich habe gerade mein 11. Semester beendet und bin jetzt offiziell ›scheinfrei‹. Ende Januar startete mein praktischer Teil des Studiums: eine abgekürzte Zeit in Form eines PJ.«

Du hast dein komplettes Studium in Vilnius absolviert, korrekt?

»Viele machen ein bis zwei Jahre Erasmus und gehen dann nach Deutschland. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, nach dem Physikum nach Deutschland zu wechseln, habe mich aber dann dagegen entschieden, weil ich mir hier meinen Freundeskreis und einfach meine Routine aufgebaut hatte und ich das Studium hier sehr mag. Den praktischen Teil des Studiums (für alle neuen Erstis) müssen wir sogar in Deutschland machen, einfach weil die Klinik unserer Uni nicht so viel Kapazität hat. So kann man sich den Teil mit einem Erasmus+ Stipendium finanzieren, zugleich auf den Arbeitsalltag in Deutschland vorbereiten und man wird gleichgestellt mit PJlern aus Deutschland.«

Was sind die Unterschiede zum Studium in Deutschland?

»Das ist schwer zu verallgemeinern, aber unser System hier ist sehr verschult. All unsere Seminare sind verpflichtend und wir brauchen meist zwischen 80 und 100 Prozent Anwesenheit, um ein Fach zu bestehen. Wir haben hier sehr viele Prüfungen, kleine Tests, Case Reports und Präsentationen. In manchen Fächern sogar fast jeden Tag. Wir haben keine verpflichtenden Famulaturen, die meisten von uns machen diese aber trotzdem freiwillig in Deutschland. Es gibt immer wieder Situationen, die ich einfach faszinierend finde. Ich durfte zum Beispiel am ersten Tag in der Herzchirurgie bei einer offenen Herz-OP am Tisch assistieren. Generell finde ich das Klima einfach total offen zwischen den Professor:innen, die übrigens alle arbeitende Ärzt:innen in der Uniklinik sind. Ich habe mich sechs Jahre gut aufgehoben gefühlt und finde wir haben sehr viel akademischen Freiraum.«

Wie wird das Auslandsstudium in Deutschland angerechnet?

»Da Litauen Teil der EU ist, wird das Studium vollständig in Deutschland anerkannt. Man muss einfach beim jeweiligen Landesprüfungsamt sein Diplom einreichen und noch ein paar andere Dokumente nachweisen (z. B. ein Führungszeugnis aus Litauen).«

Was sind deine Pläne für die Zeit nach dem Studium?

»Nach den Staatsexamen im Mai und Juni werde ich eine Auszeit nehmen und etwas reisen, bevor es in die Klinik geht. Fest geplant ist ein Roadtrip in den USA mit meinem Freund. Im Oktober möchte ich eine Stelle im Landkreis Freudenstadt antreten, von dem ich das sogenannte ›Landkreis-Stipendium für Medizinstudierende‹ bekomme. Das Tolle dabei ist, dass ich mir einen Fachbereich aussuchen kann. Ich weiß aktuell noch nicht, ob ich in der Inneren Medizin anfangen soll oder nicht doch vielleicht in die Pädiatrie oder Gynäkologie/Geburtshilfe möchte – das entscheidet sich dann nach meinem praktischen Teil, den ich in all den Fächern machen werde.«

Welche Tipps hast du für Studierende, die sich für ein Medizinstudium im Ausland interessieren?

»Besucht euren Studienort mindestens einmal, bevor ihr die Entscheidung trefft, mehrere Jahre dort zu wohnen. Habt keine Angst vor dem Studium auf Englisch, man kommt superschnell rein. Außerdem sind die Fachsprache Latein und Englisch sehr ähnlich zueinander. Findet Leute, die an eurer Wunschuni eingeschrieben sind, denn Informationen aus erster Hand sind die ehrlichsten und können euch nochmal einen ganz anderen Blickwinkel auf das Studium geben.«

Ärztin ist dein Traumberuf, weil?

»Er mir unendliche Möglichkeiten gibt, mich zu beweisen, zu lernen und mich weiterzuentwickeln im persönlichen wie auch beruflichen Feld. Weil es meine Berufung ist und ich nicht mehr hilflos dastehen muss, sondern wirklich was verändern kann.«

Über die Autor:innen

Das Redaktionsteam der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Dachorganisation aller 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und vertritt die Interessen von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Bundesebene. Auf »Lass dich nieder!« gibt das Redaktionsteam Medizinstudierenden nützliche Tipps rund ums Studium und teilt Erfahrungen und Fakten rund um die ärztliche Niederlassung.

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