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Studium

Kann man Niederlassung lernen?

Wer sich niederlässt, ist nicht »nur« Arzt, sondern auch Unternehmer, Arbeitgeber und vieles mehr – Medizinerinnen und Mediziner übernehmen also Aufgaben, auf die allein das Studium sie nicht vorbereitet. Ein Kurs an der Ludwig-Maximilians-Universität München will das ändern.

Ein Plakat zum Thema Praxisgründung.
Mit diesem Motiv wirbt das Seminar um Teilnehmer. Copyright: Arzt und Unternehmer/ LMU München.

Seit mehr als fünf Jahren wird an der LMU das Seminar »Arzt und Unternehmer – Lern, wie deine Praxis läuft« angeboten. Das Prinzip: Studenten arbeiten einen konkreten Businessplan für eine Praxisübernahme oder Praxisgründung aus und befassen sich dabei mit Details vom Mietvertrag bis zum Finanzierungskonzept. »Der Kurs soll Studierende mit den unternehmerischen Anforderungen einer niedergelassenen Tätigkeit vertraut machen«, sagt Kursleiter Dr. Oliver Rauprich vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin. »Ich denke, dass wir damit eine Lücke im Curriculum schließen.« Wie das Seminar abläuft, beschreibt Rauprich im Interview.

Herr Dr. Rauprich – braucht man für die Niederlassung nun ein BWL-Studium oder nicht?
Das braucht man nicht. Aber es gibt unternehmerische Besonderheiten einer Praxisgründung, wie den Erwerb von »Arztsitzen«, die Abrechnungsmodalitäten, die Frage der Gesellschaftsform und ihrer rechtlichen Konsequenzen, steuerliche Regelungen, Mitarbeiterverträge, Mietverträge und so weiter. Natürlich kann man sich diese Kenntnisse durch »Learning by Doing« aneignen, oder indem man sich beraten lässt. Aber es dürfte schwer sein, sie außerhalb der Universität so effizient und kostengünstig zu erhalten wie in unserem Kurs: Acht Experten, die in ihrer beruflichen Praxis Niederlassungen betreuen, beraten die Teilnehmer individuell, und sie werden von einer ehemaligen Führungskraft aus der Wirtschaft, von der sie viel über Projektarbeit und Unternehmertum lernen können, begleitet. Das ist an deutschen Universitäten einmalig.

Was haben die Studierenden von der Teilnahme?
Unser Ziel ist es, die Studenten besser auf eine Praxisgründung vorzubereiten. Für sie geht es darum, einen authentischen Eindruck davon zu gewinnen, ob eine Praxisgründung in Zukunft etwas für sie sein könnte, und falls ja, zu erfahren, was man dabei beachten muss. Gerade, wenn man noch unentschlossen ist, bietet das Seminar eine gute Möglichkeit herauszufinden, ob das »mein Ding« ist. 

Welche Fälle bearbeiten Sie im Seminar?
Ein Beispiel: Letztes Semester hat eine Gruppe die Übernahme einer Landarztpraxis im Oberallgäu geplant. Die Praxis versorgt die Bevölkerung seit 25 Jahren; nun wird ein neuer Arzt einen Sitz übernehmen, zugleich soll eine Sicherstellungsassistentin angestellt werden – so lange, bis sie dann den zweiten Sitz übernimmt und auch die bisherige Ärztin aus der Praxis ausscheidet. Diese stufenweise Übernahme ist von einer Neuausrichtung begleitet, es kommen Sportmedizin und Naturheilkunde dazu. Die Gruppe hat genau ausgearbeitet: Was ist das Gründungsvorhaben, was der Patientennutzen? Welches Leistungsspektrum werden wir zukünftig haben? Welche Rechtsform? Wie wird der Gewinn verteilt? Und wie sieht der Markt aus? Bis hin zu Dingen wie: Wo wird umgebaut, wie wird das Personal organisiert, wer wird gegebenenfalls neu eingestellt? Dazu kommt ein detaillierter Finanzplan, der auflistet, welche Kredite aufgenommen und wann sie zurückgezahlt werden. Das ist ein etwa dreißigseitiger Businessplan. Sechs bis acht Studenten arbeiten den gemeinsam im Laufe eines Semesters aus.

Was interessiert Ihre Teilnehmer besonders?
Die Teilnehmer haben meist eine ungefähre Vorstellung davon, was Selbständigkeit bedeutet, aber keine konkreten Erfahrungen damit. Sie sind offen und wissbegierig – etwa, was die Besonderheiten der Abrechnung sind, was erfolgreiche Praxismodelle, auch die Frage nach Kooperationen mit benachbarten Praxen interessiert. Eine für mich interessante Beobachtung: Eine Reihe von Studierenden fürchtet, dass sie mit den Einnahmen aus der kassenärztlichen Versorgung keinen ausreichenden Gewinn erzielen und sie deshalb auf die aktive Werbung von Privatpatienten oder den Verkauf von Selbstzahlerleistungen angewiesen sind. Hier sehen sie einen möglichen Interessenskonflikt zwischen ihren Idealen und Selbstverpflichtungen als Arzt und ihren Interessen als Unternehmer. 

Wie lässt sich dieser Konflikt lösen?
Die Lösung eines Interessenskonflikts ist immer, dass man ihn transparent macht. Das heißt, man ist gegenüber dem Patienten ehrlich, dass man hier Zusatzleistungen anbietet, die von den Kassen nicht übernommen werden, weil die medizinische Notwendigkeit nicht belegt ist. Wichtig aus meiner Sicht ist, dass man das relativ klar von der kassenärztlichen Regelversorgung trennt, so dass sich die Patienten nicht genötigt sehen, Zusatzleistungen in Anspruch zu nehmen. Viele fragen diese Leistungen ja auch nach. Wird das offen kommuniziert, sehe ich hier kein grundsätzliches Problem. 

Kann man denn Unternehmergeist überhaupt lehren und lernen?
Hinter Unternehmergeist verbirgt sich die intrinsische Motivation, als Arzt eine Praxis zu gründen und zu führen, und nicht primär vom Einkommen oder anderen äußeren Anreizen motiviert zu sein. Man muss Freude und Interesse an der Tätigkeit selbst haben: Das ist Unternehmergeist. Wenn der vorliegt, ist die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Praxis erfüllt. Alles andere kann man lernen. Eine Untersuchung zeigt, dass ungefähr 13 Prozent aller Ärzte nicht als Unternehmer geeignet sind. Die sollten besser in der Klinik bleiben. 60 Prozent sind hingegen bedingt geeignet – bei ihnen kann man dann durch Kurse wie den unsrigen die Motivation fördern. Und ungefähr ein Drittel ist uneingeschränkt geeignet und bringt genau diesen Drive, diesen Unternehmergeist, mit.

»Wie viel Arbeit bleibt, wenn die Patienten nach Hause gehen«: Sebastian Schulz, ehemaliger Seminarteilnehmer, berichtet.

Sebastian Schulz ist Student an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Wintersemester 2014/2015 hat er am Seminar »Arzt und Unternehmer« teilgenommen. Seither engagiert er sich ehrenamtlich im Studententeam, das zum Beispiel die Experten einlädt und das Kurskonzept mitgestaltet. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen.

»Vor diesem Seminar wusste ich kaum, was Niederlassung bedeutet. Natürlich war ich selbst schon mal als Patient beim Arzt. Doch die Famulaturen hatte ich vor allem im Krankenhaus absolviert. Später erst habe ich dann ein Blockpraktikum und eine Famulatur beim Allgemeinmediziner gemacht. Doch selbst dort merkt man kaum, was hinter dem unternehmerischen Aspekt steckt – wie viel Arbeit noch bleibt, nachdem wir als Praktikanten oder Patienten nach Hause gehen.

Meine Motivation damals war es, diesen unternehmerischen Aspekt der Niederlassung näher kennenzulernen – diese Art zu denken, die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Ein Kurs zum Thema Gesundheitsmanagement hatte mein Interesse daran geweckt. Natürlich ist es ein langfristiges Projekt, das jetzt umzusetzen, weil ich die Facharztzeit bestimmt im Krankenhaus verbringen werde. Zwischen dem Kurs und der Praxisgründung vergehen also sechs, sieben Jahre. Aber: Es ist trotzdem wichtig, so einen Kurs anzubieten bzw. zu machen, denn der Gedanke, sich niederzulassen, kommt ja nicht irgendwoher. Und ein Seminar wie dieses kann der »Stein des Anstoßes« sein. Außerdem ist es eine Zeitfrage: Im Studium hat man Zeit, sich damit zu beschäftigen – ich bezweifle, dass man später noch dazu kommt.

Nach dem Kurs ist definitiv ein positives Bild von der Unternehmung an sich hängengeblieben. Natürlich ist das eine komplexe Aufgabe mit einem differenzierten Anforderungsprofil, allerdings bietet sie viele Möglichkeiten, professionell wie persönlich. Ich finde, da geht es ja im Leben immer darum: sich persönlich Möglichkeiten zu eröffnen.

Aus meiner Sicht leistet es das Seminar, die Aspekte der Niederlassung deutlich zu machen, nämlich in Form von Personen, die dann tatsächlich da sitzen und Feedback geben. Die Aufschlüsselung in Themenbereiche wie Finanzierung, Recht, Steuern, Marketing, Zulassung oder Abrechnung zeigt einem genau, worum es geht. Mir gefiel außerdem, dass es Engagement erfordert, dass man immer wieder mit seinem Projekt zu tun hat, es einem gewissermaßen ans Herz wächst. Ganz wichtig ist für uns Mediziner auch die Gruppenarbeit – das machen wir erstaunlich selten. Hier in dem Kurs lernst du aber, praktisch mit Leuten zu kooperieren und an einem Projekt zu arbeiten.

Konkret haben wir damals ein Konzept für ein Medizinisches Versorgungszentrum in Lindau mit vier Ärzten aus vier Fachrichtungen ausgearbeitet, inklusive der Immobilie, die wir kaufen wollten, und der Zahlen für die Finanzplanung. Wir haben geschaut, wie wir das Unternehmen familienfreundlich gestalten, welche Öffnungszeiten in Frage kommen, welchen Wünschen der Patienten wir entgegenkommen sollten. So haben wir einen ausgeklügelten Zukunftsplan entwickelt, wie das MVZ wachsen kann. Unser Motto »Ärztehaus Lindau – alles aus einer Hand« zeigt, was wir vorhatten: in der Gemeinschaft eine umfängliche Versorgung bieten. Natürlich war dieses Projekt abstrahiert von meinen persönlichen Plänen. Ich könnte mir zwar durchaus vorstellen, Allgemeinmedizin zu wählen, vor dem Hintergrund, was ich in diesem Bereich schon ehrenamtlich gemacht habe, gefällt mir aber auch das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie unheimlich gut.

Mit dem Einkommen, das wir in unserem Projekt kalkuliert haben, haben wir ein ökonomisch lebenswertes Modell gefunden. Aber das Ding ist, dass man in anderen Berufen, in denen man absehbar viel arbeitet wie wir geplant haben, wesentlich mehr verdienen könnte. Damit meine ich andere Berufe, die Medizinern in der freien Wirtschaft angeboten werden. Dieses große Fragezeichen schwebt ja über vielen Köpfen: Möchte ich meinen Beruf so ausüben, wie ich ihn gelernt habe und wofür ich ausgebildet wurde, und dann einen sehr erfüllten Arbeitsalltag haben – oder möchte ich, vielleicht ein bisschen einfacher für mich und mit mehr finanziellem Gewinn, in die freie Wirtschaft gehen?

In der Niederlassung muss man mit sehr vielen Leuten kooperieren, zum Beispiel mit der Bank oder dem Steuerberater. Das bleibt am einzelnen Arzt hängen. Das sind zusätzliche Arbeitszeiten, die man einem für etwas ganz anderes spezialisierten Menschen aufbürdet. Es wäre daher wünschenswert, dass diese Hürden abgebaut würden, weil das von der Zeit abgeht, die man am Patienten arbeiten kann: Je mehr von diesen Aufgaben mir jemand abnimmt, desto mehr Zeit habe ich, den Job zu machen, für den ich ausgebildet bin.

Alles in Allem bringen die Herausforderungen der Selbstständigkeit als Arzt sehr viel Freude. Und wer sich auch über andere Berufsmöglichkeiten gut informiert hat, wird feststellen, dass eine Niederlassung eine große Chance bietet.«

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Aktuell werden folgende Kurse an bayerischen Universitäten angeboten:

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