»Seid mutig und vernetzt Euch!«
Was erwartet junge Ärztinnen im Berufsleben? Und wie unterscheiden sich Männer und Frauen – als Medizinerinnen und Mediziner, aber auch als Patientinnen und Patienten? Dr. med. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB) und niedergelassene ärztliche Psychotherapeutin, über Geschlechterrollen in der Medizin.
Etwa zwei Drittel der Studienanfänger in der Medizin sind weiblich. Junge Frauen machen heute schon die besseren Abschlüsse, erreichen mehr Doktortitel. Ist die Zukunft der Medizin weiblich?
»Die Medizin« ist schon lange weiblich, weil auch die anderen Berufe im Gesundheitswesen wie Pflegepersonal, Hebammen, MTAs sowie Psychologische Psychotherapeuten in der Mehrzahl weiblich sind. Ich bevorzuge daher die Formulierung: In der Zukunft wird es zahlenmäßig und in der Versorgung der Patientinnen und Patienten mehr Ärztinnen als Ärzte geben. Also: Die Medizin ist bereits weiblich, nur nicht in Gremien und auf der Ebene der Chefärztinnen und Chefärzte.
Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Die Ursachen sind hier mehrschichtig und liegen einerseits an den Netzwerkstrukturen, die auf Seiten der männlichen Kollegen immer noch besser ausgebaut sind. Frauen müssen sich also ebenfalls vernetzen. Andererseits müssten aber auch Ärztinnen, die schon in Führungspositionen sind, als Positivbeispiele besser wahrgenommen werden. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass Frauen oft viel selbstkritischer sind und auf eine ausgeschriebene Führungsposition nur dann mit einer Bewerbung reagieren, wenn sie den Forderungen einhundertprozentig entsprechen.
Ist das bei Männern anders?
Männer sehen das häufig lockerer und wagen daher mehr. Aber es kommt auch vor, dass Frauen eine solche Position als nicht so erstrebenswert ansehen. Das liegt unter anderem daran, dass Frauen häufiger zusätzlich familiär die Hauptaufgabe zu meistern haben.
Damit sind wir beim Thema Work-Life-Balance: Wie steht es in der Medizin mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Während der Weiterbildungszeiten gibt es inzwischen schon zahlreiche Arbeitszeit-Varianten, die es Ärztinnen und Ärzten ermöglichen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Doch meistens bedeutet dies auch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, damit eine deutliche Verlängerung der Weiterbildungszeit und in der Konsequenz eine spätere Facharztanerkennung. Bei jungen Paaren haben wir inzwischen häufig den Fall, dass beide Mediziner sind. Theoretisch könnten also beide die Arbeitszeit reduzieren. Praktisch sind es jedoch meist die Frauen, die weniger arbeiten.
Wo geht es familienfreundlicher zu: in der Klinik oder der eigenen Praxis?
In den letzten Jahren wurde häufig die angestellte Tätigkeit als die bessere Variante für Mütter propagiert. Hier sei man bei Krankheit abgesichert, habe verlässliche bezahlte Urlaubszeiten und wenn das Kind krank würde, gäbe es auch entsprechende Regelungen. Ob das wirklich die bessere Variante ist, stelle ich infrage, denn der eigene Freiraum ist gerade in der eigenen Praxis besser organisierbar. Natürlich muss auch der Investitionsaufwand berücksichtigt werden, der von Fach zu Fach unterschiedlich hoch ist und einen unterschiedlichen Erfolgsdruck produziert. Die Optionen, die aber eine junge niedergelassene Ärztin hier mit Kooperationen unterschiedlicher Art hat, müssen mehr in die Diskussion eingebracht werden.
Welche Optionen wären das zum Beispiel?
Etwa eine Praxisgemeinschaft oder Gemeinschaftspraxis, aber auch die Tatsache, dass es während der Elternzeit die Möglichkeit einer sogenannten Entlastungsassistenz gibt, bei der eine Ärztin oder ein Arzt unterstützend tätig werden kann, um den Arbeitsumfang der Praxisinhaber bzw. ?inhaberinnen zu reduzieren. Solche Modelle müssen mehr in die Diskussion eingebracht werden. Mein Fazit: Häufig wird zu wenig beachtet, dass gerade eine eigene Praxis sehr viele Möglichkeiten bietet, die Arbeitszeit anzupassen oder die Kinderbetreuung an die Praxiszeiten anzupassen.
Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Patienten?
Ganz sicher, auch wenn man hier schnell an die Grenzen des Klischees kommt. Aber auch rein wissenschaftlich gesehen gibt es gravierende Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Körper. Damit ist klar, dass Krankheiten anders ausgeprägt sind und auch unterschiedlich behandelt werden müssen.
Dazu passt, dass Sie sich als DÄB-Präsidentin auch für die Umsetzung der Gender-Medizin einsetzen wollen. Können Sie uns genauer erklären, worum es dabei geht?
Der weibliche und der männliche Körper reagieren verschieden. Es unterscheiden sich zum Beispiel der äußere Körperbau, das Gewicht, die Muskelmasse, die Fettverteilung, die Hormone, die Verwertung. Bisher haben wir bei Krankheitssymptomen oft nicht differenziert. Beim Herzinfarkt sind hauptsächlich die Symptome des Mannes bekannt, bei der Depression die der Frau. Jahrzehntelang wurden Medikamente nur an männlichen Probanden getestet und die anschließenden Therapieempfehlungen für beide Geschlechter gleichgesetzt. Daher braucht es ein stärkeres Bewusstsein für die Gender-Medizin. Es muss selbstverständlich werden, dass die Symptome unterschiedlich sein können und die Behandlung ebenfalls unterschiedlich erfolgen muss.
Was würden Sie jungen Medizinerinnen gern mit auf den Weg geben?
Seid mutig und wagt auch mal Bewerbungen mit dem Bewusstsein, dass Ihr nicht alles bieten könnt. Und vor allem: Vernetzt Euch, denn gemeinsam seid Ihr als Ärztinnen stärker.