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Traumata im Medizineralltag

Wenn eine Belastungsstörung das Leben bestimmt

Menschen helfen und heilen ist die Hauptmotivation für Ärzt:innen. Manchmal ist das aber nicht möglich und du wirst im Arbeitsalltag mit traumatischen Situationen konfrontiert. Prof. Dr. Anette Kersting erzählt, wie du eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erkennst und wann du handeln musst.

Eine Ärztin sitzt auf dem Boden und stützt den Kopf auf ihre Hände.
Wenn Ärzt:innen mit einer Belastungsstörung kämpfen, ist eine Therapie ratsam. ©iStock/bymuratdeniz

Lesedauer: 5 Minuten

Prof. Dr. Kersting ist Leiterin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig. Mit Psycholog:innen der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig hat sie in einer Forschungsstudie eine internetbasierte Schreibtherapie für Ärzt:innen entwickelt, die nach einem traumatischen Ereignis im Beruf unter posttraumatischem Stress leiden. Erste Ergebnisse zeigen, dass über die Hälfte der Mediziner:innen bereits ein traumatisches Ereignis erlebt hat. Im Interview erzählt Prof. Dr. Kersting, wie sich eine PTBS äußert und warum es wichtig ist, diese zu therapieren.

 

Prof. Dr. Kersting, was ist ein Trauma?

Ein Trauma entsteht durch menschliches Leid, etwas, was das Selbst- und Weltverständnis auf den Kopf stellt und eine psychische Ausnahmesituation darstellt. Ein Arzt oder eine Ärztin möchte Menschen helfen. Das gelingt aber natürlich nicht immer. Sie sind im Berufsalltag mit Leid, Tod, sterbenden Patient:innen konfrontiert. Wir unterscheiden zwischen primären Traumata, bei denen ich selbst das Opfer bin. Zum Beispiel, wenn ich als Arzt oder Ärztin angegriffen werde. Und sekundären Traumata, bei denen die Patient:innen das Opfer sind. Sei es durch Unfälle, Komplikationen oder Tod.

Wie äußert sich die PTBS?

Flashbacks, die nicht kontrollierbar sind. Albträume, Schlafstörungen, negative Gedanken, Schuldgefühle, Wutausbrüche, Konzentrationsprobleme. Die Symptome dauern mindestens einen Monat an.

Problematisch gerade für Ärzt:innen, oder?

Häufig möchte man negative Reize ausklammern, zum Beispiel Orte oder Handlungen. Das geht allerdings für Mediziner:innen nicht, wenn es um den Rettungswagen, den OP-Saal oder eine anstehende Operation geht.

Hilft nur die Psychotherapie?

Bei Teil- oder Vollsymptomen einer PTBS ja. Zahlen aus unserer Studie zeigen, dass mehr als 30 Prozent der Teilnehmer:innen versuchen, sich mit Antidepressiva oder schlaffördernden Medikamenten selbst zu therapieren oder zu Alkohol greifen. Das erhöht die Gefahr einer Abhängigkeit und behandelt die PTBS nicht. Da ist eine Therapie unbedingt ratsam. Auch um eine Chronifizierung zu vermeiden.

Was sind die Vorteile der Onlinetherapie, was ist der Gedanke dahinter?

Zum einen ist die Hürde für Ärzt:innen oft höher, sich psychologische Hilfe zu suchen. Zeitlich sind sie oft gebunden, die Anonymität ist in einer Praxis häufig nicht gegeben. Durch die Online-Schreibtherapie ist man zeitlich und geografisch ungebunden und völlig anonym.

Welche Fachrichtungen sind besonders häufig betroffen?

Grundsätzlich kann es jeden treffen, aber statistisch gesehen sind Notfallmediziner:innen, Sanitäter:innen sowie Kolleg:innen aus der Chirurgie und Psychiatrie besonders häufig betroffen.

Welche Faktoren begünstigen nach einem traumatischen Erlebnis eine PTBS?

Da gibt es erstmal Menschen, die können besser mit traumatischen Ereignissen umgehen als andere. Wenig Urlaub, ein hohes Arbeitspensum, Perfektionismus und ein hohes Verantwortungsgefühl können Faktoren sein. Aber auch mangelnde Unterstützung.

Betrifft das gerade junge Ärzt:innen?

In unserer Studie sind tatsächlich mehr als 60 Prozent der teilnehmenden Betroffenen Assistenzärzt:innen. Und viele geben als eine Ursache für ihre Probleme ein unzureichendes Fehlermanagement und fehlende Unterstützung im Team an. Hier lässt sich ansetzen.

Auch präventiv?

Ja, unbedingt. Teamgeist und der Umgang mit Fehlern sind ein wichtiger Faktor. Fehler passieren, das ist Fakt. Auch im medizinischen Alltag. Da ist es wichtig, gemeinsam im Team zu schauen, was ist passiert, wie kann das besser laufen. Auch der Austausch unter Kolleg:innen und Gespräche mit Vertrauenspersonen können helfen. Allein durch das Erzählen gewinnt der oder die Betroffene ein wenig Abstand von der Situation.

Einige vermeiden das aus Scham?

Ja, ganz häufig ist das der Grund, sich nicht anzuvertrauen. Das kann den Verlauf einer PTBS negativ beeinflussen. Deshalb ist eine gute Psychohygiene im Team sehr förderlich. Das heißt, es gibt Gesprächsrunden, Aufarbeitungen und die Chance, offen zu reden.

 

 

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