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Chirurgie

»In der männer­dominierten Chirurgie hilft nur Selbst­bewusstsein«

Dank einer Verwechslung entdeckte Annika Tuschek schon als Schülerin die Orthopädie für sich. Heute will die 23-Jährige beweisen, dass auch Frauen mit Kinderwunsch einen Platz am OP-Tisch haben. Im Interview erzählt die Medizinstudentin, warum für sie nur eine Fachrichtung in Frage kommt – und welche Auslandserfahrung sie nachhaltig geprägt hat.

Frau in einem weißen Kittel.
»Nach sechs Jahren Facharztausbildung werde ich Lust haben, ein ruhigeres Leben zu führen. Mit einem familiäreren Patientenstamm und Arbeitszeiten, die ein Privatleben mit Kindern zulassen«, sagt Annika. © Chris Noltekuhlmann

Wann wusstest du, dass du Ärztin werden willst?

In der 11. Klasse ging ich mit einer Freundin zu einem Tag der offenen Tür im Krankenhaus. Als wir dort ankamen, stellte sich heraus, dass es ein Tag der offenen Tür speziell für Senioren war. Der Chefarzt der Orthopädie hat uns entdeckt, sich unserer angenommen und uns am Ende ein Schnupperpraktikum angeboten. Zwei Tage lang durften wir ihn begleiten, er hat uns sogar mit in den OP genommen. Ich fand es toll, bei den Hüft- und Knieoperationen zuzuschauen. Danach war für mich endgültig klar, dass ich Medizin studieren will – und ich habe mich beim Abi noch ein bisschen mehr angestrengt.

Weißt du schon, in welche Richtung du später gehen willst?

Ich habe mir seit dem Studienbeginn immer wieder gesagt: Leg dich nicht zu schnell fest. Aber irgendwie komme ich von der Orthopädie/Unfallchirurgie nicht los. Sie hat mich wohl in ihren Bann gezogen.

Warum?

Man sieht hier einfach sehr gut die direkte Wirkung seiner Arbeit. Die Menschen kommen mit Frakturen oder kaputten Gelenken – und ich kann ihnen helfen. Es ist außerdem ein handwerklicher Beruf, das gefällt mir gut. Und da ich selbst viele Jahre Leichtathletik gemacht habe, wäre es mein Traum, mich später als Sportorthopädin niederzulassen. Vielleicht sogar eine Nationalmannschaft zu betreuen.

Mal in die Klischeekiste gegriffen: Du bist eine junge Frau. Ist dir der Alltag im OP nicht zu blutig und anstrengend?

Nein. Ich sehe gern Blut, solang es nicht mein eigenes ist. Die körperlich anstrengende Arbeit im OP finde ich super – ich könnte mir nicht vorstellen, den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen. Ich habe schon bei OPs assistiert, die mehrere Stunden dauerten und bei denen ich unfassbar viel geschwitzt habe unter der Röntgenschürze. Das macht in dem Moment natürlich keinen großen Spaß. Aber was danach bleibt, ist das Gefühl, etwas für ein Menschenleben getan zu haben – und das finde ich großartig. Körperlich habe ich glücklicherweise ganz gute Ressourcen. Gegen die nach wie vor männerdominierte Chirurgiewelt hilft wohl nur Selbstbewusstsein.

Du hast während deines Studiums sieben Wochen in Malawi in einem Krankenhaus gearbeitet. Was war die wichtigste Erfahrung, die du dort gemacht hast?

Das Krankenhaus, in dem ich mitarbeiten durfte, hatte für die Verhältnisse in Malawi einen eher hohen Standard, wir hatten dort sogar ein Labor und ein Röntgengerät. Trotzdem waren die Bedingungen erschreckend. Viele Menschen sind gestorben, weil wir nicht die richtigen Medikamente für sie hatten oder kein MRT oder CT machen konnten. Wer am Kopf verletzt war, konnte grundsätzlich nicht operiert werden. Wir hatten nur drei Antibiotika zur Verfügung – wenn keines davon half, waren wir machtlos. Und wenn wir genäht haben, bekamen die Patienten etwas zum Draufbeißen gegen den Schmerz, keine örtliche Betäubung. In Deutschland kann man sich aus einer ganzen Apotheke bedienen und der oberste Grundsatz ist, dass niemand Schmerzen leiden soll. Mit so wenigen Ressourcen den Menschen bestmöglich helfen zu müssen und Diagnosen nur anhand von körperlicher Untersuchung zu stellen – das war eine sehr beeindruckende Erfahrung. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich auch mit täglich mehrstündigem Stromausfall und ohne fließendes Wasser prima überleben kann.

Willst du irgendwann zurückkehren oder vielleicht noch in einem anderen Land Erfahrung sammeln?

Das plane ich derzeit nicht. Erst möchte ich hier in Deutschland genug lernen, um beim nächsten Mal wirklich helfen und selbst Operationen durchführen zu können.

Operationen faszinieren dich. Warum willst du nicht im Krankenhaus bleiben, sondern dich niederlassen?

Ich freue mich darauf, meinen Facharzt in einem Krankenhaus zu machen. Man lernt sicherlich wahnsinnig viel, sieht unterschiedlichste Verletzungen und Patiententypen. Aber es ist auch hart, im stressigen Stationsalltag jedem Patienten gerecht zu werden. Ich glaube, nach sechs Jahren Facharztausbildung werde ich Lust haben, ein ruhigeres Leben zu führen. Ohne Nachtdienste, dafür aber mit einem familiäreren Patientenstamm und Arbeitszeiten, die ein Privatleben mit Kindern zulassen. Und operieren kann man schließlich auch ambulant. Am liebsten würde ich eine Praxisgemeinschaft gründen, damit ich noch flexibler bin und immer einen Kollegen oder eine Kollegin an meiner Seite habe.

Du bist also eine Teamplayerin. Wie wichtig ist Teamgeist im Medizinstudium?

Mir persönlich sehr wichtig. Ich lerne meist mit meiner besten Freundin, wir wohnen auch zusammen. Man pusht sich gegenseitig und ergänzt sich mit seinem Wissen. Und wenn man mal ein Tief hat, zieht man sich gegenseitig hoch. Ich bin allerdings eher kein Fan von großen Lerngruppen. Die Herangehensweisen und Lerntypen sind oft viel zu bunt gemischt, das ist mir zu anstrengend.

Du wirkst sehr zielstrebig. Gibt es auch Dinge, die dir im Medizinstudium schwer fallen?

Ja. Mein Freund zieht mich immer wieder damit auf, dass ich bei seinen wirklich gartenschlauchartigen Venen mehrmals stechen musste, um ihm Blut abzunehmen. Dabei war es viel mehr die Aufregung, die mir im Weg stand, als das fehlende Können. Ich muss noch lernen, cooler zu bleiben und auf meine Fähigkeiten zu vertrauen. Das ist auch beim Lernen vor Prüfungen oft immer noch ein Problem.

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