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Geflüchtete Medizinstudierende

»Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben«

Joudi Khal musste 2013 mit seiner Familie vor Krieg und Terror aus Syrien nach Deutschland fliehen. Ein Leben in Frieden führen und Arzt werden, das war schon als Kind sein großer Traum. Und den hat sich der junge Mediziner trotz großer Herausforderungen erfüllt – mit viel Motivation und Engagement. Wie er das geschafft hat, berichtet er im Interview.

Ein Porträt von Joudi Khal
Joudi Khal fühlt sich verpflichtet zu helfen. Aus diesem Grund hat er gemeinsam mit anderen das Start-up NewStarters gegründet. Ihre Vision ist, eine nachhaltig inklusive Gesellschaft und Wirtschaft zu formen. ©Universitätsklinikum Heidelberg

Lesedauer: 4 Minuten

Aus welchen Gründen mussten Sie Ihr Heimatland verlassen?

Wir – meine Eltern, meine sieben Geschwister und ich – lebten in den kurdischen Gebieten im Norden Syriens. Die politische Lage war sehr kompliziert und die kurdische Bevölkerung stand unter großem Druck, es gab Diskriminierungen und keine Grundrechte.

Der Krieg in Syrien begann 2011, trotzdem konnte ich 2013 noch mein Abitur machen. Ich wollte immer Medizin studieren, das war mein Traum seit der dritten Klasse. Ich hatte sogar einen Studienplatz in Syrien, aber die politische Lage in den kurdischen Gebieten war sehr instabil und das Terrorregime machte das Leben immer schwieriger. Es gab kaum noch Strom, Wasser oder Lebensmittel.

Deshalb hat meine Familie beschlossen, aus Syrien in die Türkei zu fliehen. Mein Vater war Laborarzt, sein Abschluss wurde auch in der Türkei anerkannt, sodass er weiter in seinem Beruf arbeiten konnte. Auch wir Kinder konnten dort unsere Ausbildung fortsetzen. Das war der Plan. Aber es kam anders.

Der Gesundheitszustand meines Vaters verschlechterte sich und an Arbeiten war nicht mehr zu denken. Wir Kinder mussten nun Geld verdienen. Außerdem waren wir in der Türkei als Flüchtlinge und Kurden nicht willkommen und starkem Rassismus ausgesetzt.

Wie hat sich dann Ihr weiterer Weg in die Medizin gestaltet?

Wir mussten erneut fliehen und alles hinter uns lassen. Wir beschlossen, nach Deutschland zu gehen, denn wir hatten bereits durch meine Schwester Kontakte dorthin. 

Wir haben uns sehr gefreut, aber der Schritt war nicht leicht. Wir hatten in Deutschland keinerlei Garantien, wie es weitergeht. Wir hatten keine Sprachkenntnisse. Wir wussten nicht, wie es mit den Behörden läuft, kannten die Bürokratie nicht.
Ich kam nach Stuttgart und begann einen Deutschkurs. Zum Glück wurde mein Abitur hier anerkannt. Ich lernte jeden Tag bis zu acht Stunden Deutsch und engagierte mich zusätzlich beim Deutschen Roten Kreuz und anderen Organisationen, um Kontakte zu knüpfen und die Sprache intensiv zu üben. Ich schaffte das C1-Niveau im April 2016 mit einer sehr guten Note, eine der Voraussetzungen für einen Studienplatz für Medizin. All diese Faktoren spielten zusammen und ich erhielt Studienplatzangebote. Ich entschied mich für die Universität Heidelberg. Ich habe mich schnell in die Stadt und die Uni verliebt und begann im Oktober 2016 mein Studium.

Das Studium allein ist schon schwer und Sie mussten die deutsche Sprache noch besser erlernen. Wie haben Sie das alles geschafft?

Zunächst musste ich mich mit der neuen Kultur vertraut machen. Dann die deutsche Sprache und vor allem die medizinische Fachsprache erlernen. Ich lernte unglaublich viel, nachts, am Wochenende. Ich habe wenig geschlafen. In den Vorlesungen habe ich kaum ein Wort verstanden, dennoch bin ich zu jeder hingegangen. Ich musste die Fachsprache lernen und mich an alles gewöhnen, dafür brauchte ich auch die Begegnung mit den Menschen.

Außerdem musste ich im ersten Jahr ergründen, wie ich den Stoff am besten lernen kann – mit Karteikarten, zu Hause, in der Bibliothek? Und schon nach wenigen Wochen stand die erste Prüfung in Anatomie an. Da war ich noch nicht wirklich im Studium angekommen. Kurz davor hatte ich eine Operation und musste die Prüfung verschieben. Ich habe sie dann 14 Tage später geschrieben, daher hatte ich zwar mehr Zeit zu lernen, aber der Abstand zur nächsten Prüfung darauf schrumpfte auf wenige Tage zusammen. Da habe ich mir geschworen, nie wieder eine Prüfung zu verschieben. Ich habe Tag und Nacht gelernt – und auch beide bestanden.

Danach habe ich tatsächlich alle Prüfungen im ersten Versuch bestanden, meistens mit einer sehr guten Note. Darauf bin ich stolz. Nach dem dritten Semester entspannte sich die Lage langsam. 

Welche Erfahrungen haben Sie im Studium und in der praktischen Ausbildung gemacht? Hatten Sie Unterstützung?

Nach dem Physikum erhielt ich von der Friedrich-Ebert-Stiftung ein Begabtenstipendium. Dadurch hatte ich Zugang zu Netzwerken und Workshops, konnte meinen Wissenshorizont erweitern, neue Kontakte knüpfen und vieles ausprobieren – und auch herausfinden, wohin mich mein Weg als Mediziner führen wird. Ich habe mir andere Tätigkeitsfelder angesehen, die ich als Arzt hätte wahrnehmen können: in der Wirtschaft oder in der Politik. Aber im Praktischen Jahr habe ich gemerkt, dass die klinische Medizin am besten zu mir passt und ich habe mein Traumfach Neurologie weiterverfolgt.

Welche Zukunftspläne haben Sie in der Medizin?

Ich bin jetzt Assistenzarzt in der Neuroradiologie. Ein innovatives Fachgebiet, das diagnostisch sehr interessant ist, neue Behandlungsmöglichkeiten bietet und in dem ich langfristig arbeiten möchte. Bei meiner Arbeit am Uniklinikum Heidelberg kann ich viele Krankheiten auf diesem Gebiet kennenlernen, sehr komplexe und auch seltene Fälle.

Käme für Sie auch eine Niederlassung in Betracht? Und falls ja, welche Gründe sprechen für Sie dafür?

Langfristig kann ich mir sehr gut vorstellen, mich niederzulassen. Für mich spielt dabei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine große Rolle. Ich möchte mich auch deshalb in Deutschland niederlassen, weil ich der Gesellschaft etwas zurückgeben möchte – aus Dankbarkeit für die Unterstützung und die Chance, hier ein erfolgreiches Leben aufbauen zu können. In einer Welt – in der Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind - fühle ich mich privilegiert, in einem Land zu leben, das diese Grundrechte schützt und fördert. 

 

Über die Autor:innen

Das Redaktionsteam der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Dachorganisation aller 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und vertritt die Interessen von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Bundesebene. Auf »Lass dich nieder!« gibt das Redaktionsteam Medizinstudierenden nützliche Tipps rund ums Studium und teilt Erfahrungen und Fakten rund um die ärztliche Niederlassung.

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