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Medizinstudium

»Es ist menschlich, auch mal zu scheitern«

2017 war ein bewegtes Jahr für Lisa-Marie Scherzer: Die Jenaer Medizinstudentin und Poetry Slamerin hatte ihren bislang größten Auftritt und erlebte im Studium zum ersten Mal das Gefühl zu scheitern. Wie sie damit umgegangen ist, erzählt sie im Interview.

Poetryslam von Mediziner:innen
Punktevergabe beim Ärztlichen Fachrichtungen-Slam im Uniklinikum in Jena. © Bild: KV Thüringen

Du trittst in deiner Freizeit als Poetry Slamerin auf. Was lässt sich vom Slamen fürs Medizinstudium lernen?
Das Slamen fördert, besser vor Leuten zu sprechen und sich verkaufen zu können. Im Studium hilft einem das in der mündlichen Prüfung oder während eines Seminar-Vortrags. Denn wenn man ab und zu auf der Bühne steht, hat man einfach ein anderes Selbstvertrauen.

Man muss aber auch Kritik einstecken können. Hattest du schon unangenehme Momente auf der Bühne?
Der unangenehmste Moment war sicherlich, als ich als direkte Konkurrentin Lisa Eckhart zugelost bekam. Sie ist sprachlich absolut genial. Wer gegen sie als lokaler Slamer antritt, kann nur die weiße Fahne schwenken, seinen Text slamen, Spaß haben und das Feld räumen.

Wie reagiert das Publikum in solchen Momenten?
Der Auftritt war in Jena. Das Publikum dort ist nett und offen für Neues. Sie haben mich nicht spüren lassen, dass Lisa in einer anderen Liga spielt. Aber mir war klar, dass ich meinen Text zur Unterhaltung präsentiere und nicht, um weiterzukommen.

Du hast auch am Ärztlichen Fachrichtungen-Slam im Uniklinikum in Jena teilgenommen und bist außer Konkurrenz mit einem Text über das Medizinstudium aufgetreten. Wie hast du die Veranstaltung erlebt?
Ich war tendenziell aufgeregter als bei normalem Publikum, weil ich gefühlte 90 Prozent der Leute kannte. Aber vor mehr als 300 Menschen aufzutreten, in einem mehr als ausgefüllten Hörsaal, hat wahnsinnig viel Spaß gemacht.

Waren die Auftritte der Ärzte mit Auftritten bei klassischen Poetry Slams vergleichbar?
Die Texte waren keine klassischen Slamtexte. Aber die Ärzte haben mich überrascht und ihre Fachrichtungen wirklich kreativ in Szene gesetzt. Ein junger Arzt hat zum Beispiel einen Text über die Allgemeinmedizin präsentiert, der einfach gut gereimt war und schöne Pointen hatte. Und die Gewinnerin, eine Anästhesistin, hat zuerst über ihr Fachgebiet referiert und danach ein selbst umgedichtetes Lied gesungen. Da kam es nicht darauf an, dass jeder Ton gesessen hat, sondern sich das vor so vielen Leuten zu trauen. Es hat funktioniert. Der ganze Hörsaal hat mit ihr gefeiert.

Was war dein bester Moment auf der Bühne?
Ich würde keinen bestimmten herausgreifen. Aber die besten Momente habe ich, wenn ich merke, dass ein Text funktioniert und die Pointen sitzen. Ich finde es immer sehr schön, wenn ich es schaffe, das Publikum zu begeistern und zum Lachen zu bringen. Und Applaus fühlt sich natürlich immer gut an.

Wie bist du zum Slamen gekommen?
Eigentlich hat mich Friedrich Herrmann, ein Jenaer Slamer, der bundesweit bekannt ist, Anfang 2017 zum Slamen auf die Bühne gebracht. Ich habe ihn beim »Jenaer Hörsaal-Slam« kennengelernt und er hat mir angeboten, sich meine Texte anzuschauen. Ich schreibe unglaublich gerne und nehme mir, wenn es der vollgepackte Stundenplan erlaubt und die Ideen da sind, Zeit dafür. Deshalb war es ein tolles Gefühl, als er meinte, dass meine Texte auf die Bühne müssten.

Hast du neben dem Studium denn noch genug Zeit zum Slamen?
Ich nehme sie mir ab und an, um den Kopf frei zu bekommen. Das geht natürlich nicht immer. In Prüfungsphasen mache ich auch nichts anderes als am Schreibtisch zu sitzen. Aber auch wenn es zwischen dem Lernen nur eine Kaffeepause ist, um abzuschalten, sollte man sie sich in Ruhe gönnen und den Moment genießen. Die schönen Dinge sollten trotz allem nicht zu kurz kommen.

Das Medizinstudium ist bekannt für komplizierte Begriffe. Hat es dir einer besonders angetan?
Am Anfang habe ich mich mit Acetylsalicylsäure schwergetan, also Aspirin in schlau. Doch wenn man sich die Mühe macht, das Wort überhaupt einmal zu lesen und es nicht nur zu überfliegen, geht es.

Gab es eine Situation während deines Praxisteils, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Die gab es. Ich habe zum Beispiel mit einem ca. 40-jährigen Pfleger zusammengearbeitet. Wir hatten eine ziemlich schwache, 90 Jahre alte Patienten und kamen zu ihr, um sie zu waschen. Dabei hielt der Pfleger die Dame am Arm, während ich sie auf der einen Seiten wusch. Dann sollte sie von seinen in meine Arme und meinte ganz »Na gut, ist jetzt kein Mann, aber zu so was Jungem sage ich auch nicht nein.« Dieser Humor ... solche Situationen machen Spaß und bleiben in Erinnerung.

Welche Erfahrung aus dem Jahr 2017 würdest du aus Studiensicht hervorheben?
Im Sommer musste ich feststellen, dass Staatsexamen doof sind. Zwar habe ich mündlich bestanden, muss schriftlich aber noch mal ran und diesen Teil des Physikums im März wiederholen. Mittlerweile bin ich der Meinung, dass das passieren kann und nicht ganz so dramatisch ist.

Und anfangs bist du anders damit umgegangen?
Eigentlich war es am schlimmsten, es meinen Eltern zu erzählen. Die Beiden sind das nicht von mir gewohnt. Bis dahin hatte ich immer alles im ersten Durchgang geschafft: Ein Einser-Abi, die Führerscheinprüfung mit null Fehlerpunkten – und Geld habe ich durch Nebenjobs früh selbst verdient. Aber dann anzukommen und zu sagen, dass es nicht funktioniert hat, kostet Überwindung. Um mich nicht falsch zu verstehen: Meine Eltern haben total toll und tiefenentspannt reagiert. Aber für mich selbst war das sehr hart: Ich musste mir zum ersten Mal eingestehen, gescheitert zu sein.

Gehört das nicht manchmal dazu?
Ja, inzwischen sehe ich das so. Beim Einstellungsgespräch wird mir niemand sagen: »Sie sind beim ersten Mal durchs Physikum gefallen. Jetzt werden Sie nie wieder Oberärztin.« Man muss in solchen Situationen einfach lernen, mit sich selbst klarzukommen. Mir hat es zum Beispiel sehr gut getan, dass ich zu Hause mit meinen Ärzten darüber geredet habe. Diese wissen natürlich, dass ich Medizin studiere und haben mich darauf angesprochen. Als ich dann kleinlaut davon erzählte, kamen Reaktionen wie: »Ich musste auch in den zweiten Versuch« oder »Ich habe mit einem Punkt gerade so bestanden.« Das fand ich sympathisch. Da merkt man, dass es bei so etwas Großem wie dem Physikum ganz menschlich ist, auch einmal zu scheitern.

Weißt du schon, auf welche Fachrichtung du dich spezialisieren möchtest?
Mich reizt die Orthopädie, weil dieses Fachgebiet sehr vielseitig ist und man sowohl konservativ als auch operativ behandeln kann. Und wer Sportmedizin als Zusatzqualifikation draufsetzt, hat auch viele jüngere Patienten – das ist ein spannender Mix.

Hast du in der Sportmedizin schon Erfahrungen gesammelt?
Ich habe viele Praktika bei Fußballvereinen gemacht: Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue, Hertha BSC. Wenn zwei Berufsgruppen zusammenarbeiten, finde ich es gut, beide Seiten zu kennen, deshalb war ich dort mit den Ärzten und den Physiotherapeuten unterwegs. Auch habe ich als Praktikantin in der Regensburger Eden-Reha gearbeitet, wo die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer und der Frauen behandelt wird.
 
Hast du dort mit Nationalspielern gearbeitet?
Da sind schon ein paar Größen dabei gewesen, Simone Laudehr zum Beispiel. Sandro Wagner habe ich bei Hertha BSC kennengelernt, als er noch kein Nationalspieler war. Aber letztlich sind das auch ganz normale Patienten. Es macht wahnsinnig Spaß mit ihnen zu arbeiten, denn sie sind sehr engagiert und natürlich daran interessiert, schnell Erfolge zu erzielen.

Würdest du lieber in einer Niederlassung arbeiten oder in einer Klinik?   
Langfristig gesehen fände ich eine orthopädische Gemeinschaftspraxis gut. In meiner Heimat gab es ein Konzept, das mir gefallen hat: ein niedergelassener Orthopäde, der neben seiner Praxis OP-Tage im Krankenhaus hatte und eine Fußballmannschaft betreute. In einer Gemeinschaftspraxis lassen sich solche Modelle gut umsetzen, da die Patienten auch auf andere Ärzte zurückgreifen können, wenn man mal durch die Betreuung einer Mannschaft gebunden ist. Wenn sich also die langfristige Betreuung von Patienten in einer Niederlassung und gelegentliche OP-Tage verbinden lassen, wäre diese Mischung perfekt für mich.

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