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Urologie

»Etwas in mir wollte raus«

Als Oberarzt war der gebürtige Pfälzer Priv.-Doz. Dr. med. Frank Christoph mit 35 Jahren dort, wo er schon immer hinwollte. Der Weg zum Chefarzt: nicht mehr weit. Die große Karriere: so gut wie sicher. Doch er entschied sich für einen Schritt, mit dem niemand gerechnet hatte. Er kündigte und ließ sich in Berlin als Urologe nieder.

Doktor während eines Gesprächs.
»Damals war das ein absoluter Bruch, ein Karriereknick«, sagt Dr. med. Christoph über seine Entscheidung, die Klinik zu verlassen. Bilder: © Britta Leuermann

Frank Christoph gehört zu jener Generation von Medizinern, für die ein Privatleben mehr ist als ein kurzes Nickerchen zwischen Spät- und Frühschicht. Für diese Einsicht brauchte es eine Weile und einige Schritte auf der Karriereleiter, denn sie kam ihm erst als Oberarzt der Urologischen Klinik und Poliklinik der Charité Berlin.  »Manchmal muss man so weit kommen, um zu realisieren, was man will«, sagt der 46-Jährige. Lange arbeitete er täglich zwölf Stunden und nahm es einfach hin. So waren die Zeiten. Doch Gespräche mit Kollegen, die es auf den Chefarztposten geschafft hatten, machten ihn nachdenklich. Abend für Abend um 21 Uhr nach Hause kommen, um kurz darauf auf der Couch einzuschlafen: Sollte so seine Zukunft aussehen? Eine Chefposition, die jahrelang sein Ziel gewesen war, hatte er sich anders vorgestellt. Er wollte ein Leben, das ihm mehr Freiheiten lässt – flexiblere Arbeitszeiten, mehr Sport, mehr Selbstbestimmung. »Etwas in mir wollte raus.«

Das Beste aus beiden Welten

Hinzu kamen Zweifel am hierarchischen System der großen Kliniken. So erlebte er in seinem Praktischen Jahr in der Herzchirurgie, dass ihn der Operateur im Operationssaal in der dritten Person ansprach. »Gerade an den großen Kliniken führen die klaren Hierarchien oft zu Gängeleien. Wenn ein fast schon militärischer Ton angeschlagen wird, habe ich damit ein Problem«, sagt Dr. Christoph und erklärt, dass die Generation 50plus noch gut damit umgehen könne, jüngere Mediziner dazu aber oft nicht mehr bereit seien.

Die Entscheidung gegen die Klinik und für die Niederlassung brachte ihm nicht gerade Glückwunschbekundungen ein. »Damals war das ein absoluter Bruch, ein Karriereknick. Wer es bis zum Oberarzt geschafft hatte, ließ sich einfach nicht mehr nieder. Das war undenkbar«, erinnert sich Christoph. Und so schaute er zunächst in fragende Gesichter, als er Kollegen von seinen Plänen erzählte. Heute hat sich das Bild gewandelt. Die Anzahl der niedergelassenen Urologen ist in den vergangenen zehn Jahren um mehr als zehn Prozent auf deutschlandweit rund 3.300 gestiegen. Das habe beispielsweise damit zu tun, dass immer mehr Ärzte der Work-Life-Balance eine höhere Bedeutung zumäßen, erläutert der Facharzt für Urologie. Zudem sei die Entwicklung mit den neuen Optionen für Niedergelassene zu erklären: »Seit 10 bis 15 Jahren gibt es die Möglichkeit, eine eigene Praxis zu führen und zugleich in Belegkliniken zu operieren. Wenn man so will, bekommt man das Beste aus beiden Welten.«

»Eigentlich wollte ich Herzchirurg werden«

In seiner Praxis am Berliner Kurfürstendamm praktiziert Dr. Christoph dieses Modell mittlerweile seit rund zehn Jahren. Er empfängt an vier Wochentagen Patienten zu speziellen Sprechstunden für Kinder, Erwachsene und Schwererkrankte – und operiert an einem Tag in einer ambulanten Einrichtung im selben Gebäude. Daher hält er die Urologie für so vielfältig wie kaum ein anderes chirurgisches Fach. Das war nicht immer so: »Eigentlich wollte ich Herzchirurg werden – was sicherlich auch mit Anerkennung zu tun hatte. Wenn eine Mutter beim Bäcker einkaufen geht und sagt, mein Sohn ist Urologe, dann rümpfen alle die Nase. Wenn sie aber sagt, mein Sohn ist Herzchirurg und operiert am offenen Herzen, ist das etwas ganz anderes.« Doch mit der Zeit gerieten die Reaktionen beim Bäcker in den Hintergrund. Durch ein Praktisches Jahr in den USA und seine Doktorarbeit zu urologischen Tumoren reifte die Idee, sich auf dieses Fachgebiet zu spezialisieren und die Herzchirurgie nicht weiter zu verfolgen. Er sammelte weitere Auslandserfahrungen in Großbritannien, Frankreich und Spanien – und wurde sich seiner Entscheidung für die Urologie immer sicherer.

Bereut habe er das nie, sagt er, allerdings störe ihn der Ruf der Urologie in Deutschland nach wie vor. Denn trotz steigender Niederlassungszahlen hat das Fach ein Imageproblem. »Für viele ist der Urologe der Arzt, der sich mit den Pipikrankheiten auseinandersetzen muss.« Ein Stigma, das sich auch an den Hochschulen findet. So gaben in einer Studie der Universität Trier rund 41 Prozent der Medizinstudierenden an, dass die Urologie für sie definitiv nicht als Fachgebiet in Frage kommt. »Daran sind wir auch ein bisschen selbst schuld«, sagt Dr. Christoph. »Einmal im Jahr sitzt ein Urologe in einer Fernsehtalkshow und erzählt lustige Geschichten von Menschen, die mit ihrem Penis in einer Flasche steckengeblieben sind. Das führt nicht unbedingt dazu, dass das Fach seriös wahrgenommen wird.« Zumal solche Fälle weniger als ein Prozent seines Arbeitsalltags ausmachten, betont er. Vielmehr beschäftigten sich Urologen mit der Onkologie und der Frage, wie man Prostatakrebs – die häufigste Krebserkrankung bei Männern – möglichst früh erkennen und therapieren könne.

Der nächste Triathlon steht bevor

Dr. Christoph ist überzeugt, dass ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung die Gesundheit verbessern und das Krebsrisiko minimieren kann. Was er seinen Patienten rät, lebt er selbst vor. Wenn er nicht gerade arbeitet oder Zeit mit seiner Familie verbringt, läuft er, schwimmt er oder fährt Rad. Zurzeit trainiert der Triathlet täglich: für das nächste Trainingslager, die nächste Biketour, den nächsten Wettkampf. Kein ungewohntes Gefühl für ihn, denn nach seiner Klinikkarriere nahm er an zwei bis drei Triathlons pro Jahr teil. Auch die Crossvariante, bei der man das Triathlonrad gegen ein Mountainbike tauscht, reizt ihn trotz des Verletzungsrisikos immer wieder. Stauchungen, eine Gehirnerschütterung und eine angebrochene Rippe waren für den 46-Jährigen bislang kein Grund, einen Gang zurückzuschalten. »Das gehört dazu. Wer im Wald cross fährt, hat mehr Action, stürzt aber auch öfter.« Da er 2017 in den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Männergesundheit berufen wurde und nebenberuflich als Dozent an der Urologischen Klinik der Universität Magdeburg lehrt, nimmt er sich derzeit nur einen Triathlon pro Jahr vor. Die Praxiszeiten, die Stiftungsarbeit und die Univorlesung lassen einfach nicht mehr Training zu. Den Sport für seine Karriere aufgeben? Das kommt für Christoph nicht mehr in Frage. Denn mittlerweile weiß er: »Ich liebe meine Arbeit, aber sie ist nicht alles für mich.«

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