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Familienpraxis

»An die Rolle als Chef musste ich mich erst gewöhnen«

Dr. Ulf Lütkemeier ist in die internistische Hausarztpraxis seines Vaters Udo im nordrhein-westfälischen Vreden eingestiegen. Im Doppelinterview erzählen die beiden, welche Erfahrungen sie bei der Übernahme und der Übergabe der Praxis gemacht haben.

Ein Vater und sein Sohn stehen nebeneinander und tragen Arztkittel.

Herr Lütkemeier, Sie haben sich vor 37 Jahren als hausärztlicher Internist niedergelassen. Was ist das Tolle an Ihrem Beruf?
Udo Lütkemeier: Das Schöne daran ist, man kennt nicht nur einen Bauch oder ein Herz, man kennt den ganzen Patienten und in aller Regel auch den Vater und die Mutter und die Großeltern. Heute kommen auch ganz junge Patienten in die Praxis, die mir erzählen, dass ich nicht nur ihre Eltern und Großeltern, sondern auch die Urgroßeltern behandelt habe, das ist schon etwas Besonderes. Die Patienten auf dem Land sind nicht nur dem Ort, sondern auch dem Arzt sehr treu. Und sie sind auch bereit, zu verzeihen, wenn mal irgendetwas nicht optimal gelaufen ist. Ich habe vor der Niederlassung einige Zeit in verschiedenen Praxen gearbeitet - in Essen, in Münster und in Coesfeld - das war ein anderes Arbeiten. Da hat man einzelne Patienten behandelt und einzelne Krankheiten.

Ulf Lütkemeier, Sie sind vor drei Jahren in die Praxis Ihres Vaters Udo eingestiegen. War das schon immer geplant?
Ulf Lütkemeier: Nein, eigentlich stand für mich sogar relativ lange fest, dass ich mich nicht niederlassen möchte. Für die Niederlassung habe ich mich entschieden, weil es dort eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt. Im Krankenhaus habe ich im Schichtdienst gearbeitet, jetzt findet meine Arbeit vor allem tagsüber statt. Die Nähe zum Patienten ist in der Praxis eine andere als in der Klinik. Man hat viel mehr Einblick in familiäre Zusammenhänge. Beziehungsprobleme, Sorgen um die Kinder, ein Trauerfall in der Familie – solche Dinge würde man in der Klinik gar nicht mitbekommen. Die Entwicklung dieses Vertrauensverhältnisses benötigt aber Zeit, es dauert ein bisschen, bis die Patienten einen so nah an sich heranlassen und viele Sachen erzählen.

Was hat sich an der Arbeit in der Landpraxis im Laufe der Jahrzehnte verändert, Udo Lütkemeier?
Udo Lütkemeier: Was die Arbeit für die Ärzte leichter gemacht hat, war die Reform des Notdienstes. Am Anfang sorgte jeder Arzt selbst für seine Patienten, am Wochenende, an Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Das wurde zuerst dadurch geändert, dass wir einen örtlichen Notdienst bekamen, später wurden überregionale Notarztpraxen geschaffen. Mit der vorherigen Regelung hatten wir acht bis neun Dienste pro Monat, jetzt haben wir drei bis vier Dienste pro Jahr. Das ist für die Kollegen und ihre Familien sehr gut, für die Ärzte war das ein großer Schritt in die richtige Richtung. Für die Patienten ist es allerdings oft mit weiteren Wegen verbunden.

Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrem Schritt in die Selbstständigkeit gemacht, Dr. Lütkemeier?
Ulf Lütkemeier: Viele Patienten haben mir gesagt, wie froh sie über einen jungen Arzt sind, der sie auch in den kommenden Jahren begleiten kann. Der demographische Wandel ist auf dem Land ein großes Thema. Insgesamt ist der Schritt in die Selbstständigkeit ein Prozess des learning by doing. Beruflich gesehen hat man mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. In der Klinik wird der Behandlungsweg mehr oder weniger vorgegeben, in der eigenen Praxis kann ich das Medizinische selbst angehen und das Psychologische auf meine Weise vermitteln. An die neue Rolle als Chef musste ich mich erst gewöhnen, das ist neben dem Betriebswirtschaftlichen ein wichtiger Aspekt. Man ist von jetzt auf gleich Chef und hat nicht nur für seine Patienten Verantwortung, sondern auch für das Personal. Und es ist wichtig, dass die Stimmung im Team gut ist.

Udo Lütkemeier: Das ging mir auch so als ich mich damals niedergelassen habe, anfangs ist das ein ziemlich anderes Arbeiten als man es vom Krankenhaus gewohnt ist.

Wann haben Sie damit begonnen, sich mit der Frage der Praxisnachfolge zu beschäftigen, Herr Lütkemeier?
Udo Lütkemeier: Zum ersten Mal als ich vor einigen Jahren eine Herzoperation hatte, ich habe mich aber schnell erholt. Als ich auf die 70 zugegangen bin, habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt. Vor fünf Jahren ist meine Kollegin Mechthild Windmeier eingestiegen, zwei Jahre später mein Sohn, wir haben dann ein halbes Jahr zu dritt zusammengearbeitet. Das war eine gute Erfahrung, man kann die Diagnostik besprechen, sich über Probleme austauschen und sich gegenseitig vertreten. Mechthild und Ulf haben etwas, das mir in der Einzelpraxis gefehlt hat: Die Gemeinschaftspraxis war vor 20 Jahren noch eine Ausnahme.

Was hat sich in der Praxis verändert, seit sie übergeben wurde?
Ulf Lütkemeier: Wir haben eine ganze Menge geändert, der Patientenstamm ist ähnlich, aber er ist deutlich größer geworden. Mein Vater hat schon vorher gesagt, man müsse bestimmte Sachen aktualisieren, sei es bei der EDV oder in der räumlichen Gestaltung. Die Praxis hat sich nicht nur räumlich komplett geändert, sie funktioniert jetzt auch weitgehend papierfrei. Die Arbeitsdichte ist deutlich höher, dafür sind die Arbeitszeiten insgesamt kürzer geworden. Und die Abläufe sind insgesamt anders. Die Terminvergabe wurde umgestellt und es gibt mehr Teambesprechungen.

Udo Lütkemeier: Das war ein Prozess, für mich gab es kein abruptes Ende, ich arbeite immer noch einen Tag pro Woche in der Praxis. Es ist ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden. Mein Vater hatte selbst eine Arztpraxis, ich konnte mit ihm über alles reden, nur bei medizinischen Themen gab es spätestens nach dem dritten Wort Streit. Das wollte ich mit meinen Sohn vermeiden. Mir war es wichtig, dass Mechthild und Ulf ihre eigenen Entscheidungen treffen und ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Ich bin gerne beratend tätig, aber die Entscheidungen treffen die beiden.

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