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Videosprechstunde im Praxisalltag

»Etwas Zweidimensionales in 3D erfassen«

Der Hautfleck wirkt auf dem Bildschirm verdächtig und sollte genauer untersucht werden. Wie berätst du deine Patientin oder deinen Patienten per Videosprechstunde aufmerksam und umfassend, aber auch einfühlsam und beruhigend? Dipl. Psych. Roberto D'Amelio übt mit Studierenden genau das.

Ein Mann sitzt vor dem Laptop, auf dem Bildschirm ist eine Ärztin zu sehen.
Das Angebot Videosprechstunde nutzen immer mehr Patientinnen und Patienten. ©istockphoto.com/evgenyatamanenko

Lesedauer: 5 Minuten

Herr D'Amelio, im Rahmen des Homburger Kommunikations- und Interaktionstraining (HOM-KIT) üben Studierende der Universität des Saarlandes neuerdings auch den Ablauf einer Videosprechstunde. Ein sehr aktuelles Thema.

Ja, das Programm HOM-KIT gibt es in Kooperation mit den Universitätskliniken des Saarlandes schon seit 2007. Im letzten Sommersemester 2020 haben wir dann die Videosprechstunde mit aufgenommen. Ein bisschen war das Corona geschuldet, denn es fanden ja keine Präsenzseminare statt. Also haben wir Tagesseminare online angeboten und das Thema der Videosprechstunde bot sich da an.  

Und wird künftig ein aktuelles Thema in der Praxis bleiben, oder?

Ich denke ja. Denn so wie jeder seine Vorlieben, beispielsweise für Musik, hat und auch sein Leben lang behält, wird die digital affine Generation dieses Angebot auch in Zukunft verstärkt einfordern und nutzen. 

Wie beginnt man eine Videosprechstunde optimal?

Ein sehr wichtiger Faktor ist, den Standort des Patienten oder der Patientin zu erfragen. Theoretisch könnte der Laptop ja auch in Neuseeland stehen. Der Arzt oder die Ärztin sieht also die Daten wie Wohnort, aber sollte immer erfragen, ob sich die Person denn auch dort befindet. Tritt im Laufe der Sprechstunde ein Notfall ein, ist diese Angabe lebenswichtig. Auch eine Telefonnummer, falls die Verbindung mal abbricht, kann hilfreich sein.  

Wenn es um die Beschwerden der Patientin, des Patienten geht: Was ist in der Videosprechstunde wichtig?

Die Ärzte und Ärztinnen müssen etwas in 3D erfassen, was sie aber nur in 2D sehen und hören. Deshalb ist konzentriertes Nachfragen hier noch wichtiger als in der Praxis. Auch genaue Anleitungen geben, wie den betroffenen Bereich genauer zu zeigen, eventuell näher an den Bildschirm zu kommen oder sich ein anderes Lichtverhältnis zu suchen. Klagt zum Beispiel jemand über Bauchschmerzen, soll er genau zeigen, wo die Schmerzen sind. Manchmal erkennt der Arzt oder die Ärztin dann schon, dass es sich zum Beispiel eher um den Darm handelt. Dann sind Fragen natürlich entscheidend. Wie äußern sich die Beschwerden, wie sind die Lebensumstände, die Verhaltensweisen, was isst und trinkt die Patientin, der Patient? 

Solche Beschwerden lassen sich nicht immer online klären, oder?

Sobald eine persönliche Vorstellung in der Praxis nötig ist, wird das natürlich kommuniziert. Generell gilt, dass die Videosprechstunde eine sehr sinnvolle Ergänzung zum persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient ist, dieser aber oft immer noch unverzichtbar ist. Zu Recht wird er häufig als Goldstandard bezeichnet.  

Wie schafft man das, ohne Sorgen zu schüren?

Alles immer erklären. Warum möchte ich mir das lieber persönlich ansehen, warum muss ich ein Labor machen. Wieso ist das in zwei Tagen okay und muss nicht sofort sein. Alles das sollte man erklären können, damit mögliche Ängste und Sorgen auf Patientenseite ausgeräumt werden können.  

Was gilt für den Notfall?

Wir üben ja sowohl in der Vorklinik als auch im klinischen Studienabschnitt mit geschulten und vorher angeleiteten Schauspielern. Und die sind sehr überzeugend, es entsteht also schnell eine Situation, in der sich die Sprechstunde absolut real anfühlt. Was ist, wenn die Lage sich so verschlechtert, dass ein Notarzt gerufen werden muss? Dann ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und zu beruhigen. Die Botschaft muss sein: Ich bleib hier, bis die Hilfe kommt. Sie sind nicht alleine.  

Wie schaffe ich in der Videosprechstunde eine Atmosphäre, in der offen gesprochen wird? 

Häufig ist es so, das erleben wir in psychotherapeutischen Videosprechstunden, dass sich die Menschen in ihren eigenen Räumen sogar mehr öffnen als in der Praxis. Zumal auch der Stress der Anfahrt, im Wartezimmer etc. wegfällt. Aber ganz entscheidend, um an gute Informationen zu gelangen, ist es, genau und direkt zu fragen, keine Suggestivfragen stellen. Also nicht: Sie ernähren sich ja sicher gesund, oder? Eher: Wie sieht Ihre Ernährung genau aus? Am Bildschirm riechen wir zum Beispiel nichts, was ab und an auch weiterhelfen würde. Deshalb dauern Videosprechstunden meist auch etwas länger als Gespräche in der Praxis. 

Was ist ein absolutes No-Go in der Videosprechstunde?

Gerade am Bildschirm ist es sehr schwierig, wenn beide Gesprächspartner gleichzeitig reden. Deshalb immer ausreden lassen und nicht unterbrechen. Am besten zu Beginn die Patientin oder den Patienten erstmal zwei Minuten alles schildern lassen. Und eine Frage nach der anderen stellen. Zudem braucht man online mehr Gesten, mehr nonverbale Mittel. Das kann bei Zustimmung der Daumen hoch oder ein heftiges Nicken sein. Berichtet die Patientin oder der Patient von Erfolgen bei der Therapie oder guten Werten bei der Blutdruckmessung, ist auch ein angedeutetes Klatschen okay.  

Welche Störquellen gibt es?

Die sollten vorher möglichst abgestellt sein, also kein Telefon, kein Handy. Aber wenn der Arzt erreichbar sein muss für das Praxispersonal, dann die Situation immer erklären und sich entschuldigen für die Unterbrechung. Schaue ich zum Beispiel die Laborbilder auf einem zweiten Bildschirm an und gucke nachdenklich, weiß der Gegenüber gerade nicht, was hier passiert. Also sagen, ich schau mal schnell in Ihre Akte, einen Moment bitte. Immer wenn am Bildschirm kein direkter Blickkontakt da ist, fühlt sich die Patientin oder der Patient nicht mehr beachtet. Deshalb immer auch die Kamera im Blick behalten, so ist das Feedback direkter. Und der Gegenüber fühlt sich wertgeschätzt und gut aufgehoben. 

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