»In der Praxis kann ich so arbeiten, wie ich es mir vorstelle«
Dr. Hans Weidmann arbeitet seit über 30 Jahren als Psychiater in der eigenen Praxis und kennt die Unterschiede zur Tätigkeit in der Klinik. Für ihn gibt es gleich mehrere Aspekte, die für die Arbeit in der Niederlassung sprechen.
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Dr. Hans Weidmann hat eine eigene Praxis für Neurologie und Psychiatrie, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Marco Pohl führt. Seit einiger Zeit verstärkt eine weitere Kollegin das Praxisteam. Die Praxis liegt auf dem Land, in der Kleinstadt Buchen im Norden von Baden-Württemberg. Bevor sich Dr. Weidmann hier niederließ, hatte es an diesem Ort keine ausreichende fachärztliche Versorgung auf seinem Fachgebiet gegeben.
Herr Dr. Weidmann, bitte skizzieren Sie Ihren beruflichen Werdegang und wie es dazu kam, dass Sie sich als Psychiater niedergelassen haben.
Das ist auf Umwegen passiert. Ich wollte von Anfang an Medizin studieren, das Fach hat mich schon als Schüler interessiert. Im Rahmen des Studiums – bei Praktika und im Praktischen Jahr – habe ich bemerkt, dass ich nicht dem Offensichtlichen und Handwerklichen zugeneigt bin, sondern dass mich das Verborgene mehr interessiert.
Und so kam die Hinwendung zur Psychiatrie, in der man sich mehr mit dem Menschlichen befasst, mit dem, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Das hochentwickelte Gehirn und das Wesen, das war es, was mich interessiert hat. Ich habe mich direkt nach dem Studium in der Psychiatrie beworben.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie den Weg in die Niederlassung gefunden haben?
Das war mehr oder weniger zufällig. Man muss im Rahmen der Facharztausbildung zum Psychiater auch Neurologie machen. Zu dieser Zeit hat mir ein ehemaliger Oberarzt, der damals in einer Niederlassung gearbeitet hat, geraten, in die Praxisarbeit hineinzuschnuppern. Es sei dort sehr anders als in der Klinik. Zufälligerweise las ich einige Tage später eine Anzeige im Ärzteblatt, dass ein Arzt in Mosbach einen Urlaubsvertreter sucht. Ich habe mich beworben und bin dortgeblieben. Ich hatte generell vor, mich niederzulassen, aber diese Möglichkeit ergab sich damals schneller als gedacht.
Welche Vorteile sehen Sie in der Autonomie, die Sie in der Praxis gegenüber der Klinik haben?
Es gibt praktische Vorteile: Man bestimmt selbst, wie viel und wann man arbeitet. Man hat keine Nachtdienste und am Wochenende frei, wenn man sich die Arbeit so einteilt. In der Praxis kann ich primär so arbeiten, wie ich es für richtig halte. Es gibt keine Vorgaben des Chefs oder vom Krankenhausträger, sondern ich entwickle den eigenen Stil. Natürlich spielen auch wirtschaftliche Kriterien eine Rolle, darauf muss man achten. Aber man hat mehr Freiheiten, was das ärztliche Tun angeht.
Gibt es auch einen Unterschied in der Beziehung zu Ihren Patient:innen, wenn Sie den Alltag in der Klinik mit dem in der Praxis vergleichen?
Ja, klar. Gerade in der Psychiatrie gibt es große Unterschiede. In die Klinik kommen Patient:innen zur Krisenintervention, weil es ambulant nicht mehr geht. Und sobald sie einigermaßen wiederhergestellt sind, sind sie wieder weg. Sie sehen die Patient:innen also nur eine kurze Zeit, ein paar Wochen lang jeden Tag und dann gar nicht mehr. Sie müssen eine Krise meistern und den Patienten oder die Patientin so wiederherstellen, dass er oder sie ambulant weiter behandelbar ist. In der Praxis ist es gerade andersherum. Die Patient:innen sind entweder weniger schwer krank oder aus der Klinik zurück. Dann geht es darum, sie langfristig zu führen, zu stabilisieren und Rückfälle zu vermeiden. Insofern entwickelt sich dabei eine andere Beziehung. Manche Patient:innen kommen auch nicht freiwillig in die Klinik. Das heißt, sie sind per Gerichtsbeschluss da, und als Arzt oder Ärztin müssen sie dann oft gegen den Willen der Patient:innen arbeiten. So eine Situation erleben sie in der Praxis nicht.
Das bedeutet, dass sich die Therapieansätze in der Klinik und in der Niederlassung unterscheiden?
Man hat eine andere Zielrichtung. Man hat auch mal in der Praxis eine Krisenintervention, Menschen mit einer akuten Belastung. Aber meistens geht es um einen langfristigen Behandlungsvertrag, den man mit ihnen schließt. Die Leute sind häufig schon mehrfach in der Klinik gewesen. Meistens kommen sie auch mit einer Diagnose. Es geht dann darum, wie man sie ambulant führt, wie man kleinere Krisen meistert, ohne dass es gleich in die Klinik zurückgeht. Ich stelle Patient:innen auf Medikamente ein, sodass eine normale Lebensführung oder im besten Fall auch Arbeit möglich ist. Im Krankenhaus muss der Patient oder die Patientin erst so weit gebracht werden, dass ich in der Niederlassung mit ihm oder ihr weiterarbeiten kann.
In der Klinik wird die Grundlage für Ihre Arbeit in der Niederlassung geschaffen?
Ja, genau. Sobald es den Menschen in der Klinik besser geht, müssen sie wieder entlassen werden. Insofern gibt es in der Klinik keine längerfristige Perspektive.
Wie erleben Sie den fachlichen Austausch mit Ihren Kolleg:innen?
Zunächst hatte ich einen Kollegen, seit Kurzem arbeitet eine weitere Kollegin in der Praxis. Zudem habe ich in den letzten 30 Jahren stets im Austausch mit einer Gruppe von Kolleg:innen aus anderen Praxen oder Kliniken gestanden. Es gibt immer mal wieder schwierige Fälle, bei denen man nicht gleich weiß, welcher Weg in der Behandlung der richtige ist. Ich gehe auf den Kollegen oder die Kollegin zu, wir tauschen uns aus und unterstützen uns gegenseitig.
Welche Aspekte spielen für Sie eine Rolle, damit Sie zufrieden mit Ihrem Beruf sind? Was motiviert Sie?
Das Wichtigste für mich ist die Zusammenarbeit im Praxis-Team. Wir haben insgesamt eine hervorragende Mannschaft, wir gehen sehr gut miteinander um und ich freue mich darüber. Die Kollegialität und der Teamgedanke, das sind wichtige Aspekte. Was für mich auch eine große Rolle spielt, sind die positiven Rückmeldungen der Patient:innen, dass ich ein gutes Ergebnis der Arbeit sehe, dass es den Menschen besser geht. Das hat ja auch mit der Qualität der eigenen Arbeit zu tun.
Der dritte Aspekt, der für mich wichtig ist: die stabile wirtschaftliche Lage der Praxis. Wir müssen uns schon intensiv darum kümmern, dass man die Abläufe gut organisiert, dass wir relativ schlank aufgestellt sind, denn die wirtschaftlichen Umstände sind nicht immer leicht.
Was planen Sie für die Zukunft?
Ich bin schon 68 Jahre alt und eigentlich in der Rente. Aber ich schleiche mich langsam aus der Praxis heraus. Ich war von 1991 bis 2013 niedergelassen in Mosbach, bin dann 2014 nach Heidelberg und von dort 2022 nach Buchen umgezogen und habe dort die jetzige Praxis neugegründet, weil die Nordhälfte des Neckar-Odenwald-Kreises in meinem Fachgebiet stark unterversorgt war.
Der Grund für die trotz Erreichen des Rentenalters nochmalige Neugründung einer Praxis war die Absicht, abseits von irgendwelchen Zwängen meine Berufstätigkeit auch im Alter nach eigenen Vorstellungen fortführen und irgendwann dann auch beenden zu können.
Zunächst habe ich allein in Buchen praktiziert. Dann kam ein weiterer Kollege hinzu, den ich von früher kenne. Er ist zwölf Jahre jünger. Und seit Juli verstärkt uns nun noch eine 40-jährige Kollegin. Ich versuche, die Praxis langsam und geordnet in jüngere Hände zu übergeben. Damit die Patient:innen weiterhin versorgt werden können.
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Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Dachorganisation aller 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und vertritt die Interessen von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Bundesebene. Auf »Lass dich nieder!« gibt das Redaktionsteam Medizinstudierenden nützliche Tipps rund ums Studium und teilt Erfahrungen und Fakten rund um die ärztliche Niederlassung.