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Second Victim Effekt

Doppeltes Leid

Ein Behandlungsfehler kann gleich zwei Leben zerstören: das der Patient:innen und das der Ärzt:innen. Während die Folgen für die Behandelten offensichtlich sind, bleibt der stille Kampf der Mediziner:innen oft im Verborgenen.

Eine Ärztin macht sich Sorgen um ihre Patient:innen.
Beim Second Victim Effekt leiden Behandelnde unter den psychischen Folgen von kritischen Ereignissen in der Patient:innenversorgung. ©iStock/natalie_board

Lesedauer: 4 Minuten

Du blickst auf die Krankenakte und siehst eine Patientin mit einem Knoten in der Brust. Die Diagnose scheint klar: eine Zyste. Später erfährst du: Es war Brustkrebs. Die verzögerte Behandlung hat schwere Folgen. Du fühlst dich schuldig, zweifelst an deinen Fähigkeiten. Solche Fehldiagnosen können Ärzt:innen und Pflegekräfte traumatisieren. Sie werden zu »Second Victims«, den zweiten Opfern nach den Patient:innen selbst. Das Phänomen ist weit verbreitet, aber wenig bekannt.

Was ist der Second Victim Effekt?

Der Second Victim Effekt beschreibt die Folgen für medizinisches Personal, das aufgrund eines unvorhergesehenen schweren Vorfalls, eines medizinischen Fehlers und/oder eines Patient:innenschadens traumatisiert wurde.

Die Auswirkungen können gravierend sein. Eine Studie von 2020 zeigt, dass bis zu zwei Drittel aller Betroffenen Probleme haben, das Ereignis richtig zu verarbeiten. Dies kann sich in Schlafstörungen, Isolation, Depression oder sogar erhöhtem Alkohol- und Medikamentenkonsum äußern. Im schlimmsten Fall kann es zur Berufsaufgabe oder sogar zum Suizid führen.

Hilfe für die Helfenden: Unterstützungsprogramme und Strategien

Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn du dir in so einem Fall Hilfe suchst. Vielmehr ist es ein verantwortungsvoller Schritt, um deine eigene Gesundheit und die deiner Patient:innen zu schützen. Es gibt für Ärzt:innen verschiedene Anlaufstellen, bei denen sie Hilfe erhalten, wenn sie vom Second Victim Effekt betroffen sind:

  • Kollegiale Unterstützung: Tausche dich mit anderen Ärzt:innen und Mentor:innen aus
  • Berufsverbände: Ärztliche Berufsverbände und -kammern bieten Beratung und Unterstützung an.
  • Psychotherapeutische Hilfe: Bei anhaltenden Beschwerden kann eine Psychotherapie sinnvoll sein.
  • Online-Ressourcen: Plattformen wie CIRSmedical ermöglichen das anonyme Berichten solcher Vorfälle.

Prävention: Dem Second Victim Effekt vorbeugen

Du kannst auch Maßnahmen ergreifen, um den starken Auswirkungen des Second Victim Effekts vorzubeugen. Suche zum Beispiel den kollegialen Austausch und etabliere regelmäßige Nachbesprechungen nach belastenden Situationen. Wenn du eine eigene Praxis hast, hast du noch mehr Möglichkeiten: 

  • Schaffe in deinem Umfeld eine wertschätzende Atmosphäre, in der emotionale Reaktionen als normal akzeptiert werden.
  • Implementiere niederschwellige Unterstützungsangebote und Präventionsprogramme für dein Team. 
  • Kultiviere eine offene Fehlerkultur, in der kritische Ereignisse als Lernchancen gesehen werden.

So schaffst du ein Umfeld, in dem du und deine Mitarbeiter:innen im Notfall angemessen reagieren können – zum Wohl deiner Patient:innen und zu deinem eigenen Wohl.

 

 

Über die Autor:innen

Das Redaktionsteam der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist die Dachorganisation aller 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und vertritt die Interessen von Vertragsärzt:innen und Psychotherapeut:innen auf Bundesebene. Auf »Lass dich nieder!« gibt das Redaktionsteam Medizinstudierenden nützliche Tipps rund ums Studium und teilt Erfahrungen und Fakten rund um die ärztliche Niederlassung.

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