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Landmedizin

Ein Arzt, drei Praxen

Charles Schupet versorgt nicht nur in seiner Praxis in Stendal Patienten, sondern zusätzlich in zwei Praxen auf dem Land. Warum?

Der Arzt Charles Schupet ist mit seinem Auto auf dem Weg zu einem Hausbesuch auf dem Land.
Stendal, Nennhausen, Kalbe: Für seine Patienten ist Charles Schupet viel unterwegs. ©Heiko Laschitzki

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Am späten Vormittag herrscht auf dem Parkplatz vor dem Roland-Ärztehaus in Stendal reger Betrieb. Sämtliche Taxis des nahegelegenen Bahnhofs sind im Einsatz. Zusammen mit zahlreichen Kleinbussen aus den umliegenden Dörfern steuern sie sternförmig das örtliche Ärztehaus an. Hier sind ein Nierenzentrum, eine große Apotheke und ein Dialysezentrum angesiedelt. Außerdem arbeiten hier unter einem Dach Fachärztinnen und -ärzte aus den Bereichen der Urologie, Andrologie, Dermatologie, Frauenheilkunde, Augenheilkunde und Geburtshilfe sowie ein Lungenfacharzt, ein Allergologe, eine Zahnärztin, ein Chirurg und ein Kinderarzt. »Solche Gesundheitsstandorte sind wahnsinnig wichtig«, sagt Charles Schupet. »Gute Medizin braucht Orte, an denen Synergien entstehen.«

Stadt, Land, Arzt

Charles Schupet ist Allgemeinmediziner und führt mit seiner Frau Anita seit 2015 eine Praxis im Roland-Ärztehaus. Er weiß zu schätzen, dass sich hier viele Gesundheitsberufe an einer Stelle versammeln. Für den 40-jährigen Aachener ist das nicht selbstverständlich, denn an zwei Tagen in der Woche hat er Sprechstunden und Hausbesuche auf dem Land, wo es diese Möglichkeiten nicht gibt. »Das ist wahrscheinlich der grundlegende Unterschied zwischen Stadt- und Landmedizin«, sagt Charles Schupet. »In der Stadt sind viele Ärzte gebündelt, die Wege zur Diagnostik und zu anderen Fachärzten sind extrem kurz. Da der Versorgungsgrad in der Stadt oft besser ist, haben die Menschen hier meistens schon viel Diagnostikerfahrung hinter sich. Auf dem Land ist das anders.«

 

Das ›Land‹ sind für Charles Schupet vor allem Kalbe und Nennhausen. Mit den beiden Städten verglichen ist die Kreisstadt Stendal mit ihren 40.000 Einwohnern eine Großstadt: Kalbe im Altmarkkreis in Sachsen-Anhalt hat 7.500 Einwohner, die Gemeinde Nennhausen im Havelland in Brandenburg 1.850 Einwohner. Seine Terminpraxis in Kalbe hat Charles Schupet seit November 2018, hier ist er jeden Mittwochvormittag für vier Stunden. 2019 kam die Gemeinde auf ihn zu, mit der Bitte, in Nennhausen ebenfalls eine Terminpraxis einzurichten, nachdem die einzige ansässige Ärztin endgültig ihre Praxis geschlossen hatte. Seit Mai ist er jeden Donnerstagvormittag im Gemeindezentrum Nennhausen. Und in Stendal? Jeden Wochentag.

Teils Arzt, teils Sozialarbeiter

Dass die Medizin sich zwischen Stadt und Land stark unterscheidet, spürt Charles Schupet jeden Tag aufs Neue: »In der Stadt hat man als Arzt eher eine Lotsenfunktion. Man muss keinen Ultraschall dahaben, wenn man den Patienten an die entsprechende Praxis verweisen kann. Auf dem Land geht das nicht: Da wird einem vor allem eine Lösungskompetenz zugeschrieben. Dass man das Problem also direkt vor Ort löst.« Doch neben den Möglichkeiten des Delegierens unterscheidet sich die Arbeitsweise noch auf eine andere Art, wie der Arzt erzählt: Nicht nur medizinischer Berater müsse man sein, sondern teilweise auch Sozialarbeiter.

»Man kann den Menschen ja nicht trennen von seinem Umfeld und seinen Problemen. Das korreliert ganz stark mit der Gesundheit. Soziale Brennpunkte hat man natürlich auch in der Stadt, aber auf dem Land sind sie besonders sichtbar. Die Abgehängten in ländlichen Regionen, von denen in den Medien so viel berichtet wird, sind hier. Oft sind sie unzufrieden und haben große Ängste – Zukunftsängste und Versorgungsängste. Sie haben das Gefühl, dass ihnen etwas wegbricht und fühlen sich allein gelassen.« Der Arzt erlebt, wie dieser Zustand zu einem gesundheitlichen Problem wird. Viele hier haben Diabetes und chronische Erkrankungen, erzählt er.

Dankbare Patienten und direktes Feedback

Trotz der besonderen sozialen Situation ist Charles Schupet gerne Landarzt. Oder gerade deshalb? »Es ist auf jeden Fall eine sehr spannende Medizin,« sagt Schupet und führt aus: »Ich tausche mich viel mit meinem Team darüber aus, denn ich bin hier immer auf der Suche nach einem guten Gesamtkonzept für den Patienten, was beispielsweise auch das Infrastrukturelle betrifft. Und das ist schön! Denn man bekommt von den Patienten gutes, direktes und vor allem langfristiges Feedback. Wenn man zum Beispiel einen Herzinfarkt verhindern konnte, erfährt man das und das ist ein gutes Gefühl. Und die meisten Patienten schätzen die Arbeit sehr und sind dankbar. Ich kann daher wärmstens empfehlen, in die Praxis des Vorgängers hereinzuschnuppern, um seinen Kundenstamm kennen zu lernen. Dann spürt man, ob die Leute zu einem passen und ob der Praxisalltag dort den eigenen Erwartungen entsprechen kann.«

 

Außerdem sehe er deutlich positiv, dass die Probleme in der ländlichen medizinischen Versorgung erkannt werden, sagt Charles Schupet, während er sich auf den Weg zu seinem Auto für den nächsten Termin macht. »Von vielen kassenärztlichen Vereinigungen gibt es ja hohe Zuschüsse für Landarztpraxen. Die KVen können ja auch beraten, wo der größte Bedarf ist. Diese Niederlassungsberatung sollte man meiner Meinung nach auch unbedingt in Anspruch nehmen, denn eine Niederlassung ist ja gegebenenfalls eine Entscheidung für das ganze Leben – die KVen unterstützen hier.«

Soweit also zur Praxis – wie sieht es in der Theorie aus? »Auch an den Unis tut sich auf akademischer Ebene gerade sehr viel, um mit dem Ärztemangel in den ländlichen Bereichen umzugehen«, sagt Charles Schupet. Tatsächlich sind in Sachsen-Anhalt zurzeit 161 Stellen unbesetzt, im Jahr 2032 werden landesweit voraussichtlich 262 Allgemeinmediziner fehlen. Theoretisch könnten sich hier ab sofort 150 Hausärztinnen und -ärzte niederlassen. Von der KV Sachsen-Anhalt können Medizinstudierende daher bis zu 800 Euro pro Monat bekommen, wenn sie sich verpflichten, nach dem Studium für wenigstens zwei Jahre in einer ländlichen Region in Sachsen-Anhalt zu praktizieren.

Neben den zahlreichen Möglichkeiten der Niederlassung und der finanziellen Unterstützung sieht Charles Schupet noch einen weiteren Vorteil, der für das Land spricht: »Ich wohne hier in einem Dorf bei Stendal, was für meine Kinder zum Aufwachsen toll ist. Wir haben die Natur und sind trotzdem oft in Berlin. Hier zu leben ist natürlich auch wahnsinnig gesund und das Grün hilft beim Stressabbau.«

 

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