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Telemedizin

Docdirekt: Sprechstunde per Videochat

Seit April können sich gesetzlich Versicherte im Raum Stuttgart und Tuttlingen bei »Docdirekt« von Zuhause aus von einem Arzt beraten lassen. Rund 40 niedergelassene Ärzte unterstützen das Telemedizin-Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Zwei Teilnehmer berichten.

Mutter mit einem Baby in einem Tragetuch.
Per Smartphone zum Kinderarzt: Dank Docdirekt ist das für Patienten in Baden-Württemberg möglich. Bild: © iStock/Halfpoint

»Fall übernehmen«: Wenn Dr. Martina Hartmann und Sven Supper auf diesen Button auf ihrem Computer- oder Smartphone-Bildschirm klicken, bedeutet das soviel wie »Der Nächste bitte«. Die Allgemeinmedizinerin und der Kinderarzt sind Teil des Teams von »Docdirekt« – einem bisher einmaligen Telemedizin-Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Dabei beraten niedergelassene Ärzte in ganz Baden-Württemberg via Telefon, App oder Videochat. Die Kosten übernimmt die Kasse.

Kliniken entlasten, Wartezimmer leeren

»Ich bin an allem, was die Digitalisierung im medizinischen Bereich voranbringt, interessiert«, sagt Sven Supper. »Deshalb habe ich mich sofort gemeldet, um bei Docdirekt mitzumachen.« Der 39-Jährige hat sich im Januar als Kinderarzt in einer Kleinstadt im Landkreis Sigmaringen niedergelassen. Aus seiner Sicht eignet sich die Kindermedizin grundsätzlich gut für die Online-Sprechstunde. »Vor allem der Videochat ist sinnvoll, zum Beispiel bei Hautproblematiken. Aber auch in fast allen anderen Fällen ist es für mich hilfreich, wenn ich das Kind nicht nur im Hintergrund weinen höre, sondern es auf dem Bildschirm sehe, um seinen Zustand einzuschätzen.«

An ihre Grenzen stoße die Telemedizin zum Beispiel bei Fällen, in denen er den Bauch der kleinen Patienten abtasten, sie abhören oder in Hals und Ohren schauen müsste. Auch bei 40 Grad Fieber sei ein persönlicher Kontakt mit einem Arzt nicht zu ersetzen. Das große Potenzial der Telemedizin liegt aus Suppers Sicht darin, als zusätzliches Angebot die Arztpraxen und Krankenhäuser zu entlasten: »Oft wollen Eltern nur eine kurze Frage stellen oder brauchen Beratung zu Themen wie Impfung, Ernährung oder kleineren Problematiken wie einem eingewachsenem Zehennagel ihres Säuglings. Hier kann die Telemedizin künftig ansetzen und es solchen Patienten ersparen, den Weg in die Praxis zu machen. Und damit kommen die schwerer erkrankten Patienten in den Wartezimmern schneller dran.«

»Kein Ersatz, aber eine wertvolle Ergänzung«

Ähnlich sieht das auch Dr. Martina Hartmann. »Ich bin überzeugt, dass die Telemedizin eine wichtige Rolle in der medizinischen Behandlung der Zukunft einnehmen wird.« Für die Allgemeinmedizinerin, die seit 2011 eine Praxis in Mannheim leitet, kann der Videochat in vielen Fällen durchaus mit einer analogen Sprechstunde mithalten. »Bei mir hat sich zum Beispiel eine Frau mit Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall gemeldet, die weder bei ihrem Hausarzt noch bei einem Orthopäden einen Termin bekommen hat. Im Videochat konnte ich sie dieselben Bewegungsabläufe wie in der Praxis durchführen lassen. Der Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall hat sich bestätigt und wir konnten sie an einen Orthopäden vermitteln, der sie weiter behandelt hat.«

Wünschenswert wäre für Dr. Hartmann die Möglichkeit einer Rückkopplung, zum Beispiel in Form eines zweiten Gesprächs mit dem Docdirekt-Patienten oder Feedback über die App. »Ich würde sehr gern erfahren, wie es den Menschen ergangen ist. Schließlich hatten wir einen persönlichen Kontakt. Und auch die Möglichkeit, digital Rezepte, Überweisungen oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auszustellen, fände ich sinnvoll.« Klar ist allerdings auch für sie: »Eine reine Behandlung über Telefon oder Internet ist nicht in allen Fällen möglich und wünschenswert. Doch als Ergänzung ist sie sehr viel wert.«

Wie funktioniert Docdirekt? 

Wenn gesetzlich versicherte Patienten in den beiden Modellregionen akut krank sind und ihren Hausarzt oder Facharzt nicht erreichen bzw. keinen Termin bekommen, können sie sich Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr online oder telefonisch bei Docdirekt melden. Eine speziell geschulte Medizinische Fachangestellte (MFA) nimmt die Daten der Patienten auf und klärt, ob es sich um einen Notfall handelt. Ist dies der Fall, wird der Anrufer an die Rettungsleitstelle weitergeleitet. Ansonsten vereinbart die MFA einen Termin für den Rückruf des Tele-Arztes. Kann der Tele-Arzt den Patienten nicht abschließend beraten, vermittelt er ihm noch am selben Tag einen Termin bei einer patientennah erreichbaren Portalpraxis (PEP-Praxis). Auch einen Feedback-Kanal gibt es: Stichprobenartig rufen die MFA die Patienten einige Tage später an, um sich nach ihrem Wohlbefinden und ihren Erfahrungen mit Docdirekt zu erkundigen.

»Wir brauchen die Digitalisierung«

Für Sven Supper ist das Pilotprojekt erst der Anfang – der Kinderarzt wünscht sich, dass die Digitalisierung der Medizin schnell voranschreitet: »Heute hat jeder ein Handy, bestellt seine Schuhe im Internet und erledigt seine Post per Email. Doch wir als Ärzte bekommen jeden Tag bergeweise Briefe von den Kliniken, unsere MFAs verbringen Stunden mit dem Scannen von Berichten und unsere Patienten tragen Rezepte auf Papier zur Apotheke. Das kostet soviel Zeit und vor allem gehen viele Informationen verloren. Die Frage, ob ich Digitalisierung gut finde, stellt sich für mich deshalb gar nicht. Wir brauchen sie, um voranzukommen.«

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