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Kommunikation

»Es zählt auch das Befinden, nicht nur der Befund«

Prof. Dr. Ulrich Schwantes ist ein Pionier der Arzt-Patienten-Kommunikation. Dass die »gesundheitsorientierte Gesprächsführung« heute Pflichtveranstaltung in vielen medizinischen Studiengängen ist, geht auch auf ihn zurück. Hier erzählt er von der heilsamen Wirkung der richtigen Worte – und verrät, warum er angesichts eines vollen Wartezimmers besonders gewissenhaft arbeitet.

Dr. Ulrich Schwantes blickt in die Kamera.
»Wenn es besonders voll ist im Wartezimmer, arbeite ich besonders gewissenhaft. So werde ich schneller fertig«, sagt Prof. Dr. Ulrich Schwantes. Bild: © DKB/Fotografie Monique Wüstenhagen

Herr Professor Schwantes, welche Bedeutung hat das Gespräch zwischen Arzt und Patient für den Behandlungserfolg?
Im Beruf des Arztes geht es doch zu allererst darum, den Patienten, unser Gegenüber zu erfassen. Deswegen ist das Gespräch so wichtig. Es geht darum, festzustellen, was mit den Menschen, die zu uns kommen, überhaupt los ist und daraus, wie man ihnen bestmöglich helfen kann. Hierbei zählen eben nicht nur Laborwerte oder Röntgenbilder. Sondern durchaus auch die Persönlichkeit des Patienten. Im Gespräch kann ich wahrnehmen, was das Befinden des Patienten ist. Es darf nicht nur die Mitteilung von Befunden sein.

Merken Patienten, wenn sich Ärzte nur auf die Befunde konzentrieren?
Patienten kommen mit einem Vorschuss an Vertrauen zu uns.  Beim Arzt sprechen sie auch über Dinge, über die sie sonst nicht reden. Sie wollen sich öffnen und uns ins Vertrauen ziehen. Dieses Vertrauen können wir ganz empfindlich stören, wenn wir uns nur auf Befunde stürzen. Wir müssen dem Patienten Raum für seine Mitteilungen geben.  Deshalb ist das Gespräch, das Zuhören die Grundlage einer guten Arzt-Patienten-Beziehung.

Kann ein Gespräch allein schon heilsam wirken?
Ja, denn Patienten merken, wenn es jemanden gibt, der sie unterstützt. Jemanden, der sie begleitet. Und es geht ihnen besser, wenn sie nicht mehr alleine einer für sie unklaren Situation ausgesetzt sind. Das beruhigt sie. Und da Stress eher krank macht, kann ein gutes Gespräch mit einem Arzt die Selbstheilung aktivieren.

Ein Patient kommt in Ihr Sprechzimmer: Wie eröffnen Sie das Gespräch?
Das kann ganz unterschiedlich sein. In der Regel ist es eine ganz einfache Aufforderung: »Bitte nehmen Sie Platz und erzählen Sie mal.« Manchmal beziehe ich mich auch darauf, wie ich den Patienten beim Eintreten wahrnehme. »Sie sehen aber heute sehr bedrückt aus« oder Ähnliches. Auf jeden Fall gebe ich meinem Gegenüber das Signal: »Jetzt bin ich für Sie da und höre Ihnen zu.« Auch mit meiner Haltung.

Wie meinen Sie das?
Meine Methode ist, dass ich mich wirklich dem Patienten zuwende. Wir haben keinen Schreibtisch zwischen uns. Wir sitzen eher in einer Art kooperativen Konferenzhaltung gemeinsam an einer Seite des Tisches. Und wenn ich den Computer brauche, dann sieht der Patient, wenn er will, mit mir auf den Bildschirm. Manchmal kommt es da schon vor, dass ein Patient sagt: »Doktor, Sie haben da einen Buchstaben vergessen.«

Wie lange lassen Sie Ihre Patienten denn reden?
Ich lasse die Menschen, die zu mir kommen, ausreden. Sie ziehen uns schon bald ins Gespräch. Die meisten Ärzte unterbrechen ihre Patienten leider schon sehr schnell, nach 15 bis 20 Sekunden. Dabei gibt es auch Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Patienten im Durchschnitt etwa 60 Sekunden sprechen, wenn man sie nicht unterbricht. Das ist keine wirklich lange Zeit.

Zuhören, verstehen, Empathie: Kann man das lernen?
Natürlich. Menschen, die Blockflöte spielen können, sind ja auch nicht allesamt musikalisch hochbegabt. So sehe ich das auch bei der Kommunikation: Es kann schon sein, dass manche begabter sind als andere. Aber ich bin überzeugt, dass jeder das lernen kann. Dazu gehört einerseits etwas Theorie. Aber am Ende ist es vor allem Erfahrung durch Üben. Denn ein Gespräch sollte ja nichts Einseitiges sein, das in diesem Fall vom Arzt in eine, nämlich seine Richtung gesteuert wird. Wir wollen ja im Gespräch gemeinsam mit dem Patienten zu einem Ziel zu kommen. Und das lässt sich üben.

Wie lässt sich diese Erfahrung auch schon an den Unis sammeln?
Wichtig ist, dass die Kommunikation mit Patienten von Anfang an gelehrt und gelernt wird, nicht erst im letzten Semester. Denn aus meiner Sicht ist die Gesprächsführung eine der Grundfähigkeiten, die ein Arzt haben sollte. In Kursen an der Universität mit Schauspielerpatienten hilft es z.B., von diesen Rückmeldung zu bekommen: »Als Sie mir das gesagt haben, habe ich mich geöffnet.« Oder: »Als Sie dieses Wort benutzt haben, habe ich mich erschrocken.«

Fällt das Zuhören manchen Ärzten schwer?
Tatsächlich sagen mir viele Studierende nach einigen Semestern, dass sie lernen wollen, sich abzugrenzen. Dieser Begriff gefällt mir nicht. Das klingt zu sehr nach Abwendung vom Patienten. Stattdessen – würde ich sagen – müssen sie lernen, sich selber zu kennen. Sie sollten in der Lage sein, zu unterscheiden zwischen dem, was sie selbst sind und dem, was der Patient ist. Sie müssen lernen, zu verstehen was den anderen bewegt und nicht über seine Wut, seine Traurigkeit oder seine Angst hinweggehen. Aber sie müssen sich gleichzeitig selbst wahrnehmen und sich klarmachen: »Nicht ich bin wütend. Nicht ich bin traurig. Ich habe keine Angst. Aber ich kann den anderen dabei unterstützen, mit seinen Gefühlen umzugehen.« Das zu lernen, braucht Zeit.


Das Wartezimmer ist voll. Wie schafft man es, sich genügend Ruhe und Zeit für ein Gespräch zu nehmen?
Wie viele Patienten wir im Wartezimmer haben, sollte keinen Einfluss darauf haben, wie wir mit ihnen umgehen. Klar kann man Gespräche mit Patienten schneller beenden und sie nach drei Minuten wieder verabschieden. Aber wenn die Probleme damit nicht gelöst sind, dann kommen sie wieder. Und so wird man insgesamt deutlich mehr Zeit brauchen, um zum gleichen Ergebnis zu kommen. Ich habe deshalb für mich die Regel aufgestellt: Wenn es besonders voll ist im Wartezimmer, arbeite ich besonders gewissenhaft. So werde ich schneller fertig.

Tut das richtige Arzt-Patienten-Gespräch nur dem Patienten gut? Oder hat der Arzt auch etwas davon?
Ich praktiziere seit über 40 Jahren und würde jederzeit wieder die Entscheidung treffen, Hausarzt zu werden. Der Grund dafür ist meine große Zufriedenheit. Es gibt so viele Momente im Laufe eines Tages, in denen ich das Gefühl habe: Was hier passiert ist, war gut. Ich habe den Patienten verstanden. Der Patient hat verstanden. Er hat genau zugehört. Sein Interesse war spürbar. Viele sagen auch danke. Das sind die Dinge, die bei Hausärzten sicher häufiger passieren als bei anderen Berufszweigen. Wer gelernt hat, richtig mit seinen Patienten zu sprechen, lernt auch für sich selbst eine Menge.

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