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Frauen in der Medizin

Weibliche Ärzteschaft – gesellschaftlicher Wandel?

Die Anzahl an Ärztinnen in Deutschland wächst stetig – was bedeutet das? Was ändert sich? Dr. med. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB) und niedergelassene ärztliche Psychotherapeutin, über gesellschaftliche Klischees und strukturelle Probleme.

Eine Ärztin lächelt in die Kamera.
Bild: © iStock.com / jacoblund

Lesedauer: 3 Minuten

Frau Dr. Groß, in einem vorherigen Interview haben Sie gesagt, dass »die Medizin« an sich schon sehr lange weiblich sei – geprägt von Krankenschwestern, Hebammen, Physiotherapeutinnen etc. Aber wie sieht es denn bei der Ärzteschaft aus?
Da gibt es tatsächlich eine starke Entwicklung. In der Ärzteschaft wächst der Anteil von Frauen erheblich. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn waren nur 20 Prozent Ärztinnen, jetzt 50 Prozent und auch diese werden sie in den nächsten Jahren überschreiten. Von den 1970ern bis heute hat sich da schon einiges getan. Ich bin zuversichtlich, dass meine Generation – ich bin Jahrgang '53 – da schon einen Schritt in die richtige Richtung gegangen ist. Und die Generation meiner Kinder erst recht. Was wirklich einen Unterschied macht, ist, dass es heute viele Arztpaare gibt. Das war zu meiner Zeit noch unüblich: Meistens gab es die Konstellation Arzt und Krankenschwester, Arzt und Lehrerin und so weiter. Dadurch, dass es nun viele Ärztinnen gibt, stehen sie mit ihren Partnern oft auf der gleichen Stufe der Karriereleiter. Beide haben also grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung.

Haben sich denn im Krankenhaus auch gewisse Hierarchien und Verhaltensweisen beispielsweise von Chefärzten geändert, die Sie aus Ihrer Zeit als angehende Ärztin noch anders kennen?
Nein, die Hierarchien sind unverändert. Die Chefärzte sind auch noch da und zum größten Teil männlich. Nur 10 Prozent an den Universitätskliniken sind Frauen. Männliche Chefärzte sind allerdings nur ein einzelnes Zahnrad: Obwohl es immer mehr Medizinstudentinnen gibt, bleiben die Chef- und Spitzenpositionen im Gesundheitswesen generell männlich besetzt. Bei Krankenkassen, in der Klinikdirektion aber auch an Lehrstühlen. An drei Universitätskliniken – in Mannheim, Greifswald und Homburg – gab es 2016 bei der Umfrage des Deutschen Ärztinnenbundes keine einzige Frau auf einem der nachgefragten Lehrstühle.

Woran liegt das?

Vor allem an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es gibt noch viele alte Rollenklischees, was Frauen zu tun und zu lassen haben. Diese Klischees müssen sich jedoch in der Gesellschaft als Ganzes verändern. In Frankreich oder in Skandinavien ist man diesbezüglich sehr viel moderner. In Deutschland treffe ich immer wieder junge Ärztinnen, die zu Hause bleiben wollen, dieses Rollenbild also mittragen. Das können und dürfen sie natürlich, aber die Berufstätigkeit ist im hiesigen Gesundheitswesen einfach auch sehr schwer mit einer Mutterschaft vereinbar. Mütter haben immer noch das Gefühl, sie würden ihre Kinder vernachlässigen, wenn sie weiterhin arbeiten gehen. Es ist schon bezeichnend, dass es den Begriff »Rabenmutter« nur im Deutschen gibt.

Das Problem sind also die Rollenklischees?
Ja, eines von mehreren, die auch umgekehrt funktionieren. Männer werden auch heute noch schief angeschaut, wenn sie sich für die Familie entscheiden. Der strukturelle Aspekt bedeutet, dass sich die Unterstützung gegenüber Eltern in der Medizin leider noch nicht nachhaltig verändert hat.

Im Allgemeinen?
Besonders im Krankenhaus. Dort gibt es ja keine üblichen Öffnungszeiten, von 9 bis 17 Uhr. In diesem Kosmos ist eine ganz neue Einstellung erforderlich. Dabei ändert sich im Bewusstsein der Ärzte gerade schon einiges. Berufstätige Mütter werden mehr und mehr Normalität. Aber es ist ja auch einfach normal, dass es immer mehr Ärztinnen gibt.

Ist diese Wandlung in der Gesellschaft schon angekommen? Einer aktuellen Studie der Stiftung Gesundheit zufolge bekommen Ärztinnen im Schnitt weniger gute und sehr gute Bewertungen als ihre männlichen Kollegen.
Im Allgemeinen mag da vielleicht sogar so etwas dran sein. Wenn es konkreter wird, lässt sich anhand anderer Studien allerdings auch deutlich erkennen, dass auch das Gegenteil der Fall ist. Chronisch Kranke beispielsweise werden oft besser von Frauen behandelt und die Ärztinnen werden dementsprechend bewertet. Dabei geht es um ganzheitliche Zuwendung. Darum, sich Zeit zu nehmen.

Glauben Sie, dass sich die Medizin in den nächsten Jahren strukturell sehr stark verändern wird?
Ja. Vor allem ist es dringend notwendig, die werdenden Mütter in diese Wende miteinzubeziehen. Ein wichtiger Punkt ist hier die Gefährdungsbeurteilung, die es ja in so ziemlich allen Jobs gibt, die nicht rein bürokratisch sind. Also: Welche Aufgaben eine werdende Mutter nicht mehr ausüben darf, um das Wohl ihres Kindes nicht zu gefährden. Noch kommt es im Krankenhaus oft vor, dass man lieber eine werdende Mutter ganz wegschickt, als zu überlegen, welche Aufgaben sie noch erledigen kann. Man ersetzt sie also lieber ganz als punktuell. Das führt unter anderem dazu, dass viele Frauen es einfach nicht sagen, wenn sie ein Kind erwarten – was natürlich besonders gefährlich ist. Ein Problem ist auch, dass vielen jungen Frauen für die zukünftige Berufstätigkeit ein eingeengtes und vielleicht falsches Idealbild vorgestellt wird.

Und zwar?
Dass es das Nonplusultra sei, angestellt zu sein! Immer wieder wird betont, dass man dann besser die Familie vereinbaren kann, dass es sicherer ist. Viele jüngere Frauen sehen ein hohes Risiko in der Selbstständigkeit und lassen sich lieber anstellen. Aber ich kann es Frauen wirklich nur empfehlen, sich niederzulassen – es gibt ja mittlerweile ganz unterschiedliche Modelle, sodass man nicht alleinverantwortlich ist. Doppel- und Dreierpraxen zum Beispiel. Ich bin erstaunt, wie häufig Frauen die Vereinbarkeit von Freizeit und Berufsleben in der Niederlassung unterschätzen.

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