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Arbeitsbelastung

So kriegst du den Klinik­stress in den Griff

Der Klinikalltag ist gerade für Assistenzärztinnen und -ärzte mitunter extrem stressig. Wie schaffst du es, den Stress zu bewältigen oder ihn möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen? Diese Strategien können dir helfen.

Junger Assistenzarzt mit einem Stethoskop steht nachdenklich am Fenster.
Im Klinikalltag sind gute Strategien erforderlich, um mit dem Stress umzugehen. Sonst können gesundheitliche Folgen drohen. © Victor Gladkov / iStock

Lesedauer: 6 Minuten

Ärztinnen und Ärzte gehen in der Klinik oft dauerhaft bis an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit und darüber hinaus – lange Dienste, wenige Pausen und hohe 
Arbeitsverdichtung sind nur einige Stressfaktoren. Dieser Stress kann der mentalen und körperlichen Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte schaden. 

Studien zufolge leidet ein Drittel der Ärztinnen und Ärzte aufgrund von negativem Stress regelmäßig unter anderem unter körperlichen Symptomen wie Kopf- und Rückenschmerzen, Migräne und Schlafstörungen: Über 20 Prozent haben psychische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit, Konzentrationsprobleme bis hin zu Panikattacken und Burnout.

Stress erkannt und gebannt?

Zunächst geht es darum, den Stress und die Ursachen dafür zu erkennen und zu benennen: also die belastende Situation bewusst als solche wahrzunehmen, statt sie zu verleugnen und so »Stress wegen Stress« zu empfinden. Perfektionismus und das Streben, es allen recht zu machen, verstärken Druck zusätzlich. Sind die Auslöser erkannt, gilt es zu klären: Was kannst du ändern und was nicht? Zeit zum Beispiel lässt sich managen, Prioritäten lassen sich definieren, und manchmal muss man Grenzen ziehen: bis hierhin und nicht weiter!

Entspannung lässt sich lernen

In der Regel liegt es außerhalb des eigenen Einflussbereichs, die vorhandenen Verhältnisse im Klinikalltag zu ändern. Woran du arbeiten kannst, ist deine Einstellung dazu. Eine gehörige Portion Gelassenheit ist ein erster Schritt. Und die lässt sich trainieren! Techniken wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, autogenes Training, Meditationen oder auch Achtsamkeitsübungen nach Jon Kabat-Zinn (s. Interview mit Prof. Schmidt) werden in ruhigen Situationen eingeübt und dann in Stressphasen angewandt. Solche Übungen können helfen, Schmerzen und Ängste zu lindern, Depressionen vorzubeugen und das Immun- und Herz-Kreislauf-System zu stärken. Eine einfache Einstiegsübung ist die reine Beobachtung des eigenen Atems: ein – aus – ein – aus. Klingt banal, ist es aber nicht.

Abstand gewinnen

Niemand kann sich mental 24/7 mit der Arbeit beschäftigen. Wenn es irgendwie geht, sorge im Klinikalltag immer mal wieder für etwas »Mikroerholung«, und sei es nur in Form einer kurzen Pause zum Durchatmen, eines schnellen Kaffees mit Kollegen oder besser noch ein in Ruhe verzehrtes Mittagessen. Und nach Arbeitsschluss heißt es dann wirklich: Jetzt ist Feierabend! Das bedeutet, sich gedanklich und emotional vom Job zu distanzieren, gerade dann, wenn beim Nachdenken darüber Gefühle wie Wut oder Angst aufkommen. Abschalten ist wichtig, aber wie du das tust, bleibt dir überlassen. Viele empfinden Sport als Ventil, gehen joggen oder zum Yoga, andere schauen Serien oder kochen etwas. Hauptsache, du lädst die Akkus wieder auf!

Stabile Beziehungen helfen bei Stress

Für inneren Halt und emotionale Zufriedenheit ist ein tragfähiges Netz von Beziehungen das beste Rezept. Freunde, Familie, Partnerin bzw. Partner: Wer sich gut unterstützt fühlt, trotzt eher dem Stress. Auch das aktive Mitmachen beispielsweise in Sport- und anderen Vereinen oder einem Chor wirkt sich günstig auf dein seelisches Wohlbefinden aus.

Dein persönlicher Mix

»Jeder Jeck ist anders«, heißt es im Kölner Raum, und das gilt auch in puncto Stress. So unterschiedlich wie die Stressursachen ist auch das subjektive Stressempfinden. Menschen sind unterschiedlich stressresistent, das heißt, manche können besser mit Widrigkeiten und Herausforderungen umgehen als andere. Ein Patentrezept für alle Stressgeplagten kann es nicht geben. Welche Strategie die passende ist, muss jeder für sich selbst herausfinden. Meist hilft ein Mix der Maßnahmen auf mehreren Ebenen. Aber: Wenn du merkst, dass der Stress überhandnimmt und sich Richtung Burnout entwickelt, solltest du professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Mehr Freiraum durch Achtsamkeit: Prof. Stefan Schmidt im Interview

Stress im Klinikalltag ist Gegenstand einer Studie, die zurzeit am Sonderforschungsbereich »Muße« der Universität Freiburg läuft. Professor Stefan Schmidt und sein Team führen darin mit Assistenzärztinnen und -ärzten ein umfassendes Achtsamkeitstraining durch, das aus verschiedenen Elementen besteht: Übungen zur Achtsamkeitspraxis, Anwendungsmöglichkeiten von Entspannungstechniken im Arbeitsalltag sowie Gespräche rund um das Thema Selbstfürsorge. Mit ersten Studienergebnissen ist Ende 2020 zu rechnen.


Herr Professor Schmidt, wo sehen Sie die Hauptursachen für Stress bei Assistenzärztinnen und -ärzten?

Da kommen einige Faktoren zusammen. Die jungen Ärztinnen und Ärzte arbeiten extrem viel, oft bis zu 60 Stunden pro Woche, sie leisten sehr viele Überstunden, und das oft im Wechselschichtdienst. Aber nicht nur die Arbeitszeit, auch die Arbeitsdichte macht ihnen zu schaffen: Zum Beispiel in der Notaufnahme erscheint alle paar Minuten ein neuer Patient, alles geht Schlag auf Schlag. Da bleibt keine Zeit, zwischendurch mal zur Ruhe zu kommen. Und dann die ganze Dokumentation, das ist ein echter Zeitfresser.

 

Gerade zu Beginn der Klinikkarriere sind die Arbeitsanforderungen ja besonders hoch.

Genau. Hinzu kommt – nach einem langen Studium – die hohe Verantwortung, die Assistenzärztinnen und -ärzte tragen müssen, kaum dass sie ihre Approbationsurkunde in den Händen halten. Von jetzt auf gleich müssen sie verantwortlich Entscheidungen mit großer Tragweite treffen. Diesen Start in den Beruf haben viele als sehr steil empfunden, und dabei gab es nicht immer die kollegiale Unterstützung, die sie sich gewünscht hätten. Viele befinden sich in einem ständigen Gefühlsbad aus Eile, Angst, Trauer und Wut. Das alles kann ziemlichen Druck aufbauen.


Inwieweit kann Achtsamkeit helfen, das zu ändern?

Sie kann dazu beitragen, dass Ärztinnen und Ärzte während der Arbeit eine innerliche Ruhe, eine emotionale Ausgeglichenheit haben, nicht zuletzt, damit sie auch in stressigen Situationen noch empathisch mit Patienten kommunizieren können. Denn die Empathie geht, das haben Studien gezeigt, unter Stress verloren. Es geht darum, Achtsamkeit und Muße in den Klinikalltag zu integrieren.


Wie können Ärztinnen und Ärzte Achtsamkeit lernen?

Man kann sich in der Kunst üben, zu meditieren und sich zu entspannen, gegenwärtig zu sein: etwa durch den Bodyscan, bei dem die Konzentration nach und nach auf einzelne Körperteile gelenkt wird. Dann kann man schauen, wie sich die erlernten Entspannungstechniken in den eigenen Arbeitsalltag einbauen lassen. Zum Beispiel, indem man sich achtsam, also ganz bewusst, die Hände desinfiziert oder vor dem Annehmen eines Telefonats nochmal tief durchatmet. Auch die bewusste Trennung von einzelnen Arbeitshandlungen kann helfen, im Sinne von: Jetzt bin ich mit der einen Arbeit fertig, ich lege einen kurzen Break ein, achte auf meine Körperhaltung, füge ein kleines Ritual ein und beginne dann mit der nächsten Arbeit. Ein Beispiel: Ich halte vor dem Zimmer einer schwerkranken Patientin kurz inne, drücke dann ganz bewusst die Türklinke herunter und gehe in die Begegnung mit der Frau.


Welcher Sinn steckt hinter solchen Übungen?

Stress erzeugt eine Art Tunnel, in dem man gefangen ist, er geht immer weiter und weiter und nimmt kein Ende. Sinn solcher Übungen ist es, aus diesem Tunnel herauszukommen, indem man sehr bewusst Momente der Gegenwärtigkeit schafft, sich wieder orientiert, Horizonte öffnet, Musterunterbrechungen einbaut, um sich selbst wieder neu auszurichten. Bei allen Stressbewältigungstechniken geht es nicht darum, die eigene Leistung noch weiter zu steigern, sondern darum, mehr Muße zu haben und mehr Freiraum und Sinnhaftigkeit zu erleben.
 

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